1. Startseite
Logo

Bewegung und Wärme der Pferde tun gut

350_0900_13584_COKRHippo.jpg
Therapiezentrum für geistig und körperlich Behinderte: Der Besigheimer Förderkreis kommt regelmäßig zur Neckarmühle.
Lotta, Romy und Fjola sind vierbeinige Therapeuten, die für strahlende Gesichter sorgen. Selbst wenn ihre Schützlinge ihnen auf dem Rücken herumturnen, kann sie das nicht aus der Ruhe bringen.

Ludwigsburg. Seit im Jahr 1980 der Verein zur Förderung des therapeutischen Reitens gegründet wurde, ist die Neckarmühle beliebtes Therapiezentrum für geistig und körperlich behinderte Kinder und Erwachsene. Jetzt haben neben den Schülern und der Reittherapeutin Antje Vier eigentlich auch die Pferde Urlaub. Nur findet an diesem Tag während der einwöchigen Freizeit des Förderkreises für Behinderte Besigheim, der auch während der Schulzeit den Freitagmittag fest gebucht hat, ein Ausflug zur Neckarmühle mit Reiten statt.

 

Das Islandpony Fjola darf von der Weide aus das Geschehen beobachten. Ihre Dienste werden nicht benötigt, da an dieser Freizeit keine kleinen Kinder, sondern nur Jugendliche und Erwachsene teilnehmen. Die meisten der 15 Teilnehmer kommen schon seit vielen Jahren und begrüßen die beiden Knabstrupper Lotta und Romy wie alte Freunde.

 

„Lotta und Fjola gehören dem Verein. Romy ist hingegen in Privatbesitz und wird dem Verein von der Besitzerin für die Reittherapie zur Verfügung gestellt“, erzählt Sabine Setzer, die freitags und bei der Freizeit in der Neckarmühle als Reittherapeutin arbeitet. Lotta und Romy werden von Sabine Setzer und Laura Metzger auf den Reitplatz geführt, einige Runden trabt jedes Pferd ohne Reiter an der Longe. Dann dürfen die ersten beiden Behinderten aufsteigen, was ihnen dank einer Rampe nicht schwerfällt. Bei der Reittherapie steht Voltigieren im Mittelpunkt, es werden turnerische Übungen auf dem Pferderücken ausgeführt.

 

Der 15-jährige Maik schwingt strahlend ein imaginäres Lasso wie ein Cowboy, dann legt er seinen Oberkörper zurück auf den Rücken des Pferdes, das geduldig die kreisförmige Bahn entlang trabt. Als Maik sich wieder hinsetzt, wirft er den Zuschauern am Gatter Kusshände zu. Er sei halt ein Charmeur, stellen die Betreuerinnen lachend fest. Dann richtet sich Maik zum Stehen auf, dafür erntet er Applaus. Stolz ruft er aus: „Habt ihr das alle gesehen?“ Doch nicht nur ihm gebührt Lob, Sabine Setzer fordert ihn auf: „Du musst auch immer wieder dein Pferd loben.“ Schnell gibt es ein paar Streicheleinheiten, Lotta ist sowieso Maiks besonderer Liebling.

 

Eine Viertelstunde darf an diesem Tag jeder reiten, dann schwingt sich der Nächste aufs Pferd. Nicht jeder Reiter ist so furchtlos wie Maik, doch allen tun die Bewegung und die Nähe zum Tier gut. „Bei Spastikern werden durch die stark ausgeprägten Rückenschwingungen und die Körperwärme des Pferdes verkrampfte Muskelpartien gelöst“, erklärt Sabine Setzer. Die rhythmischen Bewegungen fördern auch die Ausbildung des zentralen Nervensystems, der Feinmotorik und des Gleichgewichtsinns. „Pferde sind sehr gute Therapeuten. Sie reden nicht, geben aber unmittelbare Rückmeldung“, erklärt Sarah Baumeister aus Besigheim, die schon seit Jahren bei der Sommerfreizeit hilft. „Die meisten Behinderten haben schon viele Therapien hinter sich. Die Reittherapie ist auch psychosozial wichtig. Man ist draußen, kommt mit dem weichen Fell und Schmutz in Berührung – das sind viele Sinneserfahrungen. Und durch das Erfolgserlebnis wird das Selbstwertgefühl gesteigert.“

 

Gegründet wurde der Förderverein auf Initiative von Dr. Renate Herrmann, die in der Neckarmühle wohnt und dort auch in einer Tierarzt-Gemeinschaftspraxis arbeitet. „Ich hatte Artikel über therapeutisches Reiten gelesen, das damals noch nicht so verbreitet war, aber zunehmend an Bedeutung gewann“, erzählt sie über die Anfänge. „Da ich selbst schon immer gern geritten bin, fand ich es eine tolle Sache, behinderte Kinder mit Pferden zusammenzubringen, und damit auch noch Positives bewirken zu können.“

 

Das Glück liegt aber nicht nur auf dem Rücken der Pferde, auch der übrige Aufenthalt auf dem Hof der Neckarmühle ist für die Behinderten ein Erlebnis. Katze und Hund werden gestreichelt. Dann kommt zur Freude aller Sau Elisabeth aus ihrem Stall und lässt sich begrüßen. Der Förderverein, der neben seinen zehn aktiven Mitgliedern wechselnde passive Mitglieder hat, ist auf Spenden angewiesen. „Vor zweieinhalb Jahren sind innerhalb von drei Wochen beide Therapiepferde gestorben und mussten ersetzt werden“, erzählt Renate Herrmann von einem Verlust, der viel Trauer ausgelöst und auch finanziell nicht einfach zu stemmen war.