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Wo der Neckar seine wilde Seite zeigt

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Die Staustufe Poppenweiler regelt seit einem halben Jahrhundert die Schifffahrt

Ludwigsburg. Es gibt nur wenige Orte in und rund um Ludwigsburg, an denen zuweilen raue Natur und menschengeschaffene Technik so eindrucksvoll aufeinandertreffen wie an der Staustufe Poppenweiler. Das Wasser des Neckars treibt zunächst friedlich um eine langgezogene Linkskurve, bevor es vor dem Postkartenpanorama der nahegelegenen Weinberge abrupt sieben Meter in die Tiefe rast. Das ohrenbetäubende Rauschen macht klar: Der Fluss schweigt nicht nur, er lebt und atmet. Und der Mensch: Er lenkt.

Bis zu 20 Schiffe passieren täglich die Schleuse. Sie kommen vom Stuttgarter Hafen und fahren bis nach Rotterdam oder Antwerpen. 110 Meter ist die Schleusenkammer lang, bei zwölf Metern Breite – das maximal zulässige Schiffsmaß liegt nur knapp darunter. „Da passt links und rechts gerade noch ein Din-A4-Blatt dazwischen“, sagt Reiner Orth und lächelt. Der gelernte Bauingenieur ist Leiter des Außenbezirks Marbach beim Wasser- und Schifffahrtsamt und damit für die Schleusen in Marbach, Pleidelsheim, Aldingen und Poppenweiler zuständig. Er kennt die Staustufe und den Neckar mit all seinen Launen genau.

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Seit Anfang Januar ist die Lage angespannt. Durch die vielen Niederschläge und das immer wieder einsetzende Tauwetter führt der Neckar mehr Wasser als sonst. „Das erleben wir hier vier- bis sechsmal im Jahr“, erklärt Orth. Unabhängig von der Jahreszeit. Normalerweise fließen pro Sekunde 60 Kubikmeter Wasser über die Staustufe – bei Hochwasser kann es schon mal das Zwanzigfache sein. Derzeit liegt die Wassermenge aber noch unter der kritischen Grenze von 250 Kubikmeter, die einen Anstieg des Wasserspiegels um einen Meter bedeuten würden. „Dann kommt die Schifffahrt zum Erliegen“, erklärt der Bezirksleiter. „Die Schiffe kommen dann schlicht nicht mehr unter den Toren und Brücken durch.“

Das Hochwasser bringt dann noch mehr Treibgut, als ohnehin schon, und das verringert die Fahrrinnentiefe. Das Problem mit den Ablagerungen sei auch konstruktionsbedingt, erklärt Orth. Man habe beim Bau der Schleuse in den 50er Jahren nicht bedacht, dass die Schleusenkammern auf der rechten Außenseite, wo sich das Wasserkraftwerk befindet, günstiger läge. „Durch die stärkere Strömung lagert sich dort wesentlich weniger Material ab.“ Doch es hilft nichts: Es muss gebaggert werden. Mehrere Tausend Tonnen fallen bei einer solchen Aufräumaktion an.

Just in diesem Moment fährt von stromabwärts in die Schleuse ein Schiff ein, auf dem ein solcher Bagger steht. Die dicken Tore schließen sich, das Wasser rauscht aus der benachbarten Kammer hinein. Knapp 20 Minuten dauert der Vorgang, schon kann der Bagger auf der anderen Seite, nun sieben Meter höher, seine mühsame Arbeit aufnehmen.

Montags bis samstags von 6 bis 22 Uhr erwarten die Mitarbeiter im Zweischichtbetrieb die Schiffe, die sich per Funk für die Passage anmelden. Ein einziger Mitarbeiter überwacht vom Turm aus den Verkehr und bedient die Schleuse. Bei Bedarf ist eine Durchfahrt rund um die Uhr möglich – sofern sie denn per Fax angemeldet wird.

„Wenn man im Sommer hinüber auf die Weinberge schaut, scheint die Anlage fast zu verschwinden“, schwärmt Orth von der Konstruktion der Schleusentürme, an der der Erbauer des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Paul Bonatz, in den 50ern maßgeblich beteiligt war. „Die Schleuse ist mit ihrer Muschelkalkfassade einfach perfekt in die Landschaft integriert.“

Doch die Zeit geht nicht spurlos an einem solchen Bauwerk vorbei. Spätestens in 20 Jahren stehe eine grundlegende Sanierung an, sagt der Bezirksleiter. Möglicherweise werde dann eine Erweiterung der Kammernlänge auf 140 Meter Länge realisiert – das wäre europäischer Schiffsstandard. Nach über 70 Jahren Betriebszeit wäre die Poppenweiler Schleuse damit gewissermaßen erwachsen.