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Politische Partizipation
„Kommunen müssen mutiger sein“

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Per Gesetz müssen Kommunen seit Ende 2015 Jugendliche politisch mitbestimmen lassen. Die Politologin Angelika Barth befasst sich schon lange mit dem Thema. Wir haben mit ihr über Beteiligungsformen gesprochen. Gibt es nun mehr Jugendgemeinderäte? Ist das der Königsweg der Partizipation?

Ludwigsburg. Seit der Gesetzesänderung sprießen Jugendgemeinderäte, kurz JGR, bestimmt überall aus dem Boden, oder?
Angelika Barth: Es hat sich in den Kommunen noch nicht viel verändert, was die Beteiligung Jugendlicher betrifft.

Warum nicht?
Ein Grund ist, dass in Kommunen viele Mühlen langsam mahlen. Nach einem Jahr sind viele Städte und Gemeinden noch in der Denkphase, wie sie junge Menschen beteiligen möchten. Zum anderen denken viele kleinere und mittlere Orte, dass sie die finanziellen und personellen Ressourcen für eine Beteiligung nicht haben und sowieso nur wenige junge Einwohner. Ein dritter Grund ist: Viele empfinden das Gesetz als schwammig. Jene, die seit Jahren mit wehenden Fahnen mehr Mitspracherecht für Jugendliche gefordert haben, nutzen das Gesetz als Rückenwind. Andere sind eher unsicher. Denn im Gesetz steht nicht, wie man das machen muss. Es gibt keine Checkliste, weder Stichtag, bis zu dem man irgendwas geleistet haben muss, noch Sanktionen für Kommunen, die nicht aktiv werden.

Das klingt so, als habe sich seither nichts getan.
Doch. Ich erlebe eine höhere Aufmerksamkeit für das Thema. Das sehe ich an den Anmeldezahlen für unsere Workshopreihe, die wir anlässlich der Gesetzesänderung gestartet haben. Ich bin aber froh, dass es nicht sofort zu einer Flut an JGR-Neugründungen geführt hat. Das fände ich bedenklich.

Wieso?
Der JGR wird oft als Königsweg dargestellt. Ich beobachte aber, was das in der Praxis bedeutet. Es ist sehr aufwendig seitens der Betreuung, dieses Modell am Leben zu erhalten, dem Ganzen Kontinuität zu verleihen und die Jugendlichen motiviert zu halten. Natürlich gibt es Kommunen, in denen der JGR super funktioniert und beeindruckende Ergebnisse liefert. Der erste Jugendgemeinderat wurde übrigens 1985 in Weingarten entwickelt. Den gibt es bis heute. Das ist aber nicht selbstverständlich. Seit ich mich mit dem Thema beschäftige, erkenne ich, dass eine lange Tradition keine Gewähr ist, dass ein JGR dauerhaft Bestand hat. Manchmal ändern sich die Rahmenbedingungen, vielleicht kommt ein neuer Oberbürgermeister ins Amt oder es finden sich nicht mehr genügend Kandidaten. Oder das Ganze schläft einfach ein.

Das klingt, als seien Jugendgemeinderäte nicht gerade die beste Form der Beteiligung.
Es ist eine Variante, die ihre Berechtigung hat, wenn es zu den Rahmenbedingungen und zu der Motivation der Jugendlichen passt. Und wenn die Kommune bereit ist, Verantwortung, Kontrolle und Macht abzugeben. Denn ich kann nicht suggerieren, ihr dürft mitbestimmen, und am Ende entpuppt sich das Ganze nur als eine Alibi-Veranstaltung, um sagen zu können, wir beteiligen unsere Jugendlichen doch.

Ist die Zahl der JGRs denn rückläufig?
Bei der Zahl gibt es eine permanente Schwankung. Jedes Jahr lösen sich zwei, drei auf und zwei, drei neue kommen hinzu – wie jetzt in Ludwigsburg. Momentan sind es 83 in Baden-Württemberg. Zusätzlich gibt es aber auch viele Mischformen und andere Beteiligungsmodelle.

Welche ist denn die beste Beteiligungsform?
Es gibt unzählige Modelle und Mischformen. Ich glaube, die beste Form gibt es nicht. Die beste Form ist jene, die zur Kommune passt. Das ist jetzt eine unbefriedigende Antwort. Aber ich möchte ganz vehement dafür plädieren, dass man sich nicht an Prototypen festhält und Checklisten wünscht. Niemand weiß besser, was zum Ort passt, als die Kommune und die jungen Menschen selbst. Man muss sich die Zeit nehmen, die Jugendlichen darüber zu informieren. Sie werden nicht geboren mit dem Wissen, dass man sich beteiligen kann, wie man sich beteiligen kann und dass das auch noch Spaß machen kann. In der Schule ist das ja eher ein vernachlässigtes Thema. Man muss mit ihnen ins Gespräch kommen, man muss ihr Interesse und ihre Motivation wecken. Im nächsten Schritt kann man dann sehen, in welche Richtung es weitergehen soll.


Woran scheitert die kommunalpolitische Beteiligung Jugendlicher am häufigsten?
In der Kommunalpolitik benötigt man manchmal einen langen Atem. Es kann Jahre dauern, bis ein JGR-Projekt umgesetzt wird. Dadurch kann die Motivation der Jugendlichen schwinden. Nicht jedes Vorhaben der Jugendlichen muss ein Erfolg werden, aber wenn es langwierig wird und wenn etwas scheitert, ist es wichtig, das zu kommunizieren, den Jugendlichen eine Rückmeldung zu geben und zwischendurch kleinere Erfolgsprojekte einzustreuen, die Motivation halten – das hat auch mit subtilen Dingen zu tun. Zum Beispiel mit Wertschätzung. Lädt mich der Bürgermeister zum Neujahrsempfang ein? Das kann auch eine Urkunde sein, die den Jugendlichen verliehen wird. Kleine Dinge, die zeigen, dass es der Kommune ernst ist.

Und wie geht man damit um, wenn der JGR nicht funktioniert und sich auflöst?
Ich denke, es gibt viele Konstellationen, die dafür verantwortlich sind, dass ein JGR scheitert. Und letztlich ist es die Erkenntnis: Das ist für uns im Moment nicht die passende Form. Das bedeutet aber nicht, dass Jugendbeteiligung generell gescheitert ist an dieser Stelle, sondern dass es in der Form nicht passt. Dann müssen Kommunen ganz sachlich und offensiv vorgehen und schauen, woran es liegt. Wichtig ist, mit den Jugendlichen zu sprechen: Wollen sie projektbezogener arbeiten? War es am Ende eine Hülse und keine echte Beteiligung mehr? Um herauszufinden, woran es lag, müssen die Verantwortlichen viel Arbeit und Mühe hineinstecken. Aber ich möchte davor warnen, das als Scheitern oder persönliches Versagen zu betrachten. Wichtig ist, sich als lernende Kommune darzustellen. Städte und Gemeinden sollten den Mut haben, etwas auszuprobieren, weniger zögern und jungen Menschen mehr zutrauen. Schließlich geht es nicht nur um Ergebnisse und Erfolge, sondern um den Weg, die Erfahrung und das Selbstwirksamkeitserlebnis der Jugendlichen.

 

83 Jugendgemeinderäte gibt es in Baden-Württemberg (Stand Januar 2017). Davon befinden sich fünf im Kreis Ludwigsburg: Vaihingen, Korntal-Münchingen, Ditzingen, Gerlingen und ab März Ludwigsburg. In Asperg ist das Modell gescheitert. Auch in Markgröningen gehört der JGR der Vergangenheit an, hier findet die Mitbestimmung jetzt in Form eines Jugendbeirats statt. Marbach hat sich gegen einen Jugendgemeinderat und für ein Drei-Säulen-Modell der Beteiligung entschieden.