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Gründungsfeier
Neuer Verein setzt auf Integration

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Viele sind gekommen, um zu zeigen, wie wichtig ihnen die Vereinsgründung ist. Fotos: Karin Rebstock
Der Demokratische Gesellschaftsverein der Kurden in Ludwigsburg hat vor einem Jahr seine Arbeit aufgenommen. Gestern fand die offizielle Gründungsfeier statt. Mit dabei war ein Gast aus der Türkei: Abdullah Demirbas. Er war bis 2014 Bürgermeister von Sur, dem ältesten Stadtteil von Diyarbakir. In seiner Heimat droht ihm eine lange Gefängnisstrafe.

Ludwigsburg. Bei der Feierstunde im Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde Pflugfelden wird schnell deutlich, welcher Gruppierung die Sympathien des Demokratischen Gesellschaftsvereins der Kurden gehören. „Hände weg von unseren politischen Repräsentanten“, ist auf einem Plakat an der Wand zu lesen, das die Porträts von Abgeordneten der prokurdischen Oppositionspartei HDP zeigt. Nach dem gescheiterten Putschversuch im vergangenen Juli hatte der türkische Staat zwölf Parlamentsabgeordnete der HDP verhaftet, zwei wurden am Wochenende aus der Untersuchungshaft entlassen.

Bei der offiziellen Gründungsfeier steht unter anderem die Wahl der beiden Vorsitzenden Filiz Cakallik und Lokman Acar auf dem Programm, die den Verein bereits seit einem Jahr inoffiziell geleitet haben. Die Veranstaltung trifft auf reges Interesse, etwa 200 Menschen sind ins Gemeindehaus gekommen. Der Verein hatte bereits 50 Mitglieder, das neue Vorstandsteam rechnet nun mit weiteren Eintritten. Zielgruppe sind Kurden aus der Türkei, Syrien, Irak und Iran, aber auch Jesiden.

Einen Schwerpunkt der Vereinstätigkeit wird die Jugendarbeit bilden, erklärt die Vorsitzende Cakallik. Zuletzt habe es auch in Ludwigsburg Auseinandersetzungen zwischen jungen Menschen mit türkischen und kurdischen Wurzeln gegeben. „Wir wollen eine Anlaufstelle für Jugendliche sein, ihnen vermitteln, dass sich Konflikte auch ohne Gewalt und im Dialog lösen lassen“, so Cakallik. Sport- und Bildungsangebote sollen dabei helfen. Zudem will der Verein die kurdische Kultur weitergeben und die Jugendlichen zur Auseinandersetzung mit der Demokratie anregen. Neben der Gründung einer Fußballmannschaft sind Theaterarbeit, Folklore und musikalische Angebote vorgesehen.

Gleichberechtigung sei für Kurden wichtig, betont Cakallik. Das zeige sich unter anderem daran, dass leitende Funktionen in kurdischen Vereinen stets mit einem Mann und einer Frau besetzt würden. „Ohne Frauen kann es nur eine halbe Demokratie geben“, so die Vereinsvorsitzende.

Bei der Gründungsfeier spricht auch Abdullah Demirbas zu den Ludwigsburger Kurden. Er war von 2004 bis 2014 Bürgermeister von Sur, dem ältesten Stadtteil von Diyarbakir. In der Kurdenhochburg in Südostanatolien hätten Angehörige verschiedener Ethnien und Religionen jahrhundertelang friedlich zusammengelebt, so Demirbas, selbst HDP-Mitglied. Nach dem Völkermord an den Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhunderts habe sich das geändert. „Der türkische Staat siedelte danach gezielt Türken an, zum Teil auch aus Bulgarien und Griechenland. Kurden wiederum wurden in andere Teile der Türkei geschickt.“

In seiner Amtszeit hat Demirbas zwei Projekte zur Förderung eines gemeinsamen Miteinanders initiiert: Behördenformulare wurden in verschiedenen Sprachen erstellt, und in einer sogenannten Straße des Glaubens entstanden Tür an Tür Gotteshäuser für Muslime, Christen, Juden, Aleviten und Jesiden. Bei der türkischen Regierung kamen diese Initiativen nicht gut an: Demirbas sagt, dass er zu knapp 300 Jahren Haftstrafe verurteilt wurde. Erst vor zwei Wochen sei eine Freiheitsstrafe von 18 Jahren ausgesprochen worden, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. 2009 und 2015 habe er bereits im Gefängnis gesessen, und als Bürgermeister sei er, obwohl demokratisch gewählt, abgesetzt worden. Ein Ausreiseverbot habe der Staat vor anderthalb Monaten aufgehoben, verschiedene Gerichtsverfahren laufen noch.

Demirbas vergleicht die Situation in der Türkei mit einem Garten. „Der türkische Staat will nur eine einzige Blume anpflanzen. Aber wenn man immer die gleiche Farbe anschaut, wird man irgendwann blind.“ Die HDP dagegen stehe für gärtnerische Vielfalt und wolle, dass sich die verschiedenen Blumen in ihrer jeweiligen Pracht entfalten können. „Aber aus Sicht der türkischen Regierung macht uns das zu Terroristen.“ Er jedenfalls werde sich weiter für eine demokratische und multikulturelle Gesellschaft mit Raum für verschiedenen Ethnien, Nationalitäten und Religionen einsetzen. „Ich kämpfe weiter, auch wenn sie mich 300 Jahre ins Gefängnis stecken.“