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Nahverkehr
9-Euro-Ticket: Nach dem Lockangebot ist vor dem Tarifschock?

Der Nürnberger Verkehrsverbund präsentierte bereits die Anwendung zum Kauf des 9-Euro-Tickets, auch im VVS laufen die Arbeiten. Foto: dpa
Der Nürnberger Verkehrsverbund präsentierte bereits die Anwendung zum Kauf des 9-Euro-Tickets, auch im VVS laufen die Arbeiten. Foto: dpa
Die Fahrgastzahlen in Bus und Bahn sind coronabedingt eingebrochen, und die Verantwortlichen versuchen nun einiges, um die Entwicklung umzukehren. Doch das könnte alle teuer zu stehen kommen.

Kreis Ludwigsburg. Wer vergangenen Samstag von Korntal-Münchingen oder von der Solitude ins Stuttgarter Zentrum mit Bus oder Bahn wollte, musste dafür nichts bezahlen, ein vergleichbares Gratisangebot gilt an diesem Samstag in Vaihingen und allen Stadtteilen anlässlich des Weindorfs sowie am Wochenende darauf in ganz Ditzingen, wenn die Messe „Ditzingen Mobil“ stattfindet. Auf noch mehr Fahrgäste und vor allem Umsteiger vom Auto hofft die Politik durch das 9-Euro-Ticket, das ab Anfang Juni für drei Monate gelten soll. Doch zumindest derzeit ist nicht jeder damit glücklich.

Befürchtet wird zum einen eine Überlastung mit zeit- und streckenweise überfüllten Bussen und Bahnen – was letztlich aber kaum etwas bringen werde, so die Einschätzung von Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags. Gerade nicht für die ländlichen Räume, vielmehr werde das Angebot vor allem den Kunden in den Ballungsräumen zugutekommen. Immerhin: Zumindest in der Region Stuttgart rechnen die Verantwortlichen nicht damit, dass sich die Kunden in den Fahrzeugen stapeln werden. „Wir haben in dem Fall das Glück, dass wir keine Massenziele wie den Bodensee oder Tripsdrill ansteuern“, sagt dazu Tobias Hähnle, ÖPNV-Planer beim Bietigheimer Busunternehmen Spillmann. Vor allem aber sei der Zeitraum doch recht günstig, da das Aufkommen im Sommer ohnehin nur 80 Prozent eines Winters betrage und zudem Schulbusfahrten in den Ferien entfallen, alle sechs Gelenkbusse könnten deshalb im Notfall zusätzlich flexibel eingesetzt werden.

Ähnliches heißt es vom gesamten Verkehrsverbund VVS – obwohl in den Ferien wieder die S-Bahn-Stammstrecke gesperrt sein und deshalb der Takt auf 30 Minuten ausgedünnt wird. Bei Bedarf, etwa zu Großveranstaltungen, könne man wie sonst auch Verstärkerzüge einsetzen. Insgesamt aber seien die Bahnen und Busse coronabedingt noch immer schwächer ausgelastet als vor 2020.

Kosten bereiten Sorge

Und damit das Angebot auch geringer gegenfinanziert. „Das 9-Euro-Ticket sorgt für einen massiven Einnahmenausfall, der rasch ausgeglichen werden muss“, heißt es dazu beim VVS, der das mit 75 bis 85 Millionen angibt. Man habe sich deshalb „bei Bund und Land dafür eingesetzt, dass die Verkehrsunternehmen zügig nach dem 1. Juni Ausgleichsmittel bekommen, um liquide zu bleiben, damit sie weiterhin ihre Fahrer bezahlen und Kraftstoff tanken können“.

Zudem seien bundesweit 1,5 Milliarden Euro aufgrund der gestiegenen Energiekosten nötig, über diesen Ausgleich wolle der Bund aber erst nach den Verhandlungen über den Beitrag für das 9-Euro-Ticket verhandeln, heißt es beim VVS. Konkreteres soll nach den Sitzungen von Bundesrat und Bundestag noch in diesem Monat feststehen, danach will man auch im Kreis über mögliche Hilfen beraten, heißt es aus dem Landratsamt. Busunternehmen im Verbundgebiet seien aber schon im März die ersten Liquiditätshilfen ausbezahlt und Auszahlungen vorgezogen worden. Ein Entgegenkommen, wie es das nicht überall im Südwesten gab, weshalb am gestrigen Vormittag einige Busunternehmen in den ländlichen Regionen als Protestaktion Verbindungen strichen.

Eine Maßnahme, die längerfristig im Münchner Gebiet Thema sei, wie Regionalrat Bernhard Maier (Freie Wähler) vergangene Woche im Verkehrsausschuss anführte. Möglich wäre das trotz Verträgen, weil mittlerweile die Geschäftsgrundlage weggefallen sei und die Unternehmen bei den Auftraggebern die Entbindung von der Betriebspflicht beantragen könnten, so Ulrike Schäfer vom Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen (WBO). Im VVS-Gebiet stünde eine Entscheidung über Reduzierungen im Fahrplanangebot aber nicht an, heißt es dort – vielmehr fahre man derzeit „das größte Leistungsangebot, das es je gab“.

Sorge bereitet da vielmehr die Tatsache, dass man kurz nach der 9-Euro-Phase wieder über die alljährlichen Tariferhöhungen diskutieren werde – und viele Kunden verliert. Mit „erheblichen Vermittlungsproblemen gegenüber den Nutzern“ rechnet etwa Michael Makurath, Ditzingens OB und verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Regionalfraktion. Zuletzt gab es Anfang April ein Plus von 2,5 Prozent, im Herbst aber „werden wir über ganz andere Zahlen sprechen müssen“, hatte Regionalrat Maier gesagt. Er ließ dabei auch durchblicken, dass ihm statt der großen Subventionierung des 9-Euro-Tickets mehr Geld für die Dauerangebote lieber gewesen wäre. Denn zusätzlich zum Fahrgastrückgang seit 2019 sind im Vergleich zum Vorjahr die Spritpreise um satte 70 Prozent gestiegen, wie der VVS hinweist – und darin aber auch wiederum eine Chance für den ÖPNV sieht. Denn der sei relativ gesehen nun gegenüber dem Auto günstiger geworden.

Info: Der Stuttgarter Verkehrsverbund hat auf www.vvs.de/9-euro-ticket/ eine Übersicht zu den Modalitäten für Gelegenheits- wie auch Abokunden erstellt, die laufend aktualisiert werde.