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NGO-Gesetz
EU-Kommission startet neues Verfahren gegen Ungarn

Viktor Orban
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban verlässt den Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im vergangenen Dezember. Foto: Francisco Seco/Pool AP/dpa
Vor gut einem halben Jahr erklärte das höchste EU-Gericht das ungarische NGO-Gesetz für rechtswidrig. Doch Budapest ist bislang nicht aktiv geworden. Nun verliert die EU-Kommission die Geduld.

Brüssel (dpa) - Ungarn widersetzt sich nach Ansicht der EU-Kommission einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Umgang mit Nichtregierungsorganisationen. Deshalb leitet die Brüsseler Behörde ein neues Verfahren gegen Ungarn ein.

Lenkt die rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban nicht ein, drohen dem Land hohe Geldstrafen. «Der Europäische Gerichtshof war deutlich - die von der ungarischen Regierung verhängten Einschränkungen für die Finanzierung von Organisationen der Zivilgesellschaft sind nicht in Einklang mit EU-Recht», sagte EU-Kommissionsvize Vera Jourova. Deshalb mache man nun diesen «entschiedenen Schritt». NGOs seien ein unverzichtbarer Teil unserer Demokratien. «Wir müssen sie unterstützen, nicht bekämpfen.» Die EU-Kommission überwacht in der Staatengemeinschaft die Einhaltung von EU-Recht.

Ungarn müsse nun innerhalb von zwei Monaten alle erforderlichen Maßnahmen umsetzen, um dem EuGH-Urteil vom Juni zu entsprechen, forderte die Brüsseler Behörde. Andernfalls könnte sie den Fall erneut vor das höchste EU-Gericht bringen und finanzielle Sanktionen fordern. Das neue Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ist auch ein Zeichen dafür, dass die EU-Kommission die Geduld mit dem mitteleuropäischen Land verliert. Die EU-Kommission klagte in den vergangenen Jahren mehrfach erfolgreich gegen Ungarn vor dem EuGH, häufig ging es um die Asyl- und Migrationspolitik.

Das nun betroffene NGO-Gesetz wurde 2017 verabschiedet. Es sieht vor, dass sich NGOs, die Spenden aus dem Ausland erhalten, ab einem Schwellenwert bei den ungarischen Behörden registrieren lassen müssen. Die Informationen werden online veröffentlicht. Zudem müssen die NGOs auf ihrer Webseite und in anderen Veröffentlichungen angeben, sie seien eine «aus dem Ausland unterstützte Organisation». Kritikern zufolge ist das Gesetz auf den US-Investor und Großspender George Soros zugeschnitten. Orban führt seit Jahren Kampagnen gegen den aus Ungarn stammenden Holocaust-Überlebenden und greift dabei auf antisemitische Stereotypen zurück.

Um unter das NGO-Gesetz zu fallen, muss eine Organisation mehr als 7,2 Millionen Forint (etwa 20 500 Euro) im Jahr aus dem Ausland erhalten. Zudem muss sie bei der Registrierung die Anzahl der Spender angeben, deren Unterstützung 500 000 Forint (etwa 1500 Euro) übersteigt.

Viele NGOs, die unter diese Bestimmungen fallen, weigern sich, sie auf sich anzuwenden, weil sie das Gesetz für verfassungswidrig halten. Bislang wurde keine von ihnen mit einer Strafe belangt. Allerdings wurde einer NGO im Bildungsbereich eine EU-Förderung vorenthalten, deren Auszahlung eine staatliche Stelle abwickelt. Diese hatte bereits nach dem EuGH-Urteil verlangt, dass die Organisation eine Erklärung abgibt, ob sie unter das NGO-Gesetz falle. Die NGO hatte dies unter Verweis auf ihre Ablehnung des NGO-Gesetzes nicht getan.

Der EuGH hatte im Juni befunden, dass die Regeln diskriminierend seien und die betroffenen Organisationen, aber auch die Spender ungerechtfertigt einschränkten. Dies verstoße unter anderem gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs. Ebenso verletze es unter anderem die Rechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten.

Auch wegen der jüngsten Einschränkungen des Asylrechts treibt die EU-Kommission ein Verfahren gegen Ungarn voran. Die bisherigen Antworten der ungarischen Behörden hätten die Bedenken nicht ausgeräumt, teilt die Brüsseler Behörde mit. «Die Kommission ist weiterhin der Auffassung, dass diese Gesetze gegen EU-Recht verstoßen.» Deshalb habe man erneut ein Schreiben nach Budapest geschickt. Die rechtsnationale Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban hat nun zwei Monate Zeit, die Bedenken auszuräumen - andernfalls könnte die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.

Gestartet hatte die Behörde das Verfahren bereits Ende Oktober. Konkret geht es darum, dass Schutzsuchende nicht mehr auf ungarischem Boden einen Asylantrag stellen können. Stattdessen müssen sie in den ungarischen Botschaften in Belgrad oder Kiew vorstellig werden und können dort eine Absichtserklärung auf Stellung eines Asylantrags einreichen. Möglicherweise bekommt der Betroffene dann eine einmalige Einreiseerlaubnis nach Ungarn. Nach Ansicht der EU-Kommission sind dies rechtswidrige Einschränkung des Zugangs zum Asylverfahren.

© dpa-infocom, dpa:210218-99-493825/4