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Nach Rücktritt von Regierung
Libanons Botschafter in Deutschland soll Premier werden

Mustafa Adib
Mustafa Adib, bisher Libanons Botschafter in Deutschland, ist designierter Ministerpräsident seines Landes. Foto: Marwan Naamani/dpa
Wirtschaftskrise, Corona-Pandemie, Explosion in Beirut: Der Libanon erlebt eine der schwersten Zeiten seiner Geschichte. Jetzt soll es ein neuer Regierungschef richten. Doch er hat nur wenig Erfahrung.

Beirut (dpa) - Nach der verheerenden Explosion in Beirut soll Libanons bisheriger Botschafter in Deutschland das Land als neuer Regierungschef aus der Krise führen. Die wichtigsten Blöcke des Parlaments nominierten am Montag den 48 Jahre alten Mustafa Adib als Premier.

Staatschef Michel Aoun habe Adib mit der Bildung einer Regierung beauftragt, teilte ein Sprecher des Präsidentenpalastes am Montag mit. Die bisherige Regierung war nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut vor vier Wochen zurückgetreten.

Adib sagte in einer ersten Ansprache eine schnelle Regierungsbildung und grundlegende Reformen zu. In diesen schwierigen Zeiten gebe es keine Zeit für Reden, Versprechungen oder Glückwünsche, erklärte er. «Es ist Zeit zu arbeiten, mit aller Kraft und in Zusammenarbeit aller.» Für seine Regierung wolle er Personen mit Kompetenz und Fachwissen auswählen. Der Libanon stehe vor begrenzten Möglichkeiten.

Unmittelbar nach seiner Nominierung besuchte Adib kurz Stadtviertel Beiruts, die bei der Explosion besonders stark zerstört wurden. Dort sagte er zu, die Ermittlungen zu der Katastrophe zu beschleunigen.

Der designierte Premier ist seit 2013 Botschafter seines Landes in Berlin. In der libanesischen Öffentlichkeit ist der promovierte Rechts- und Politikwissenschaftler eher unbekannt. Bisher hatte er keine politischen Spitzenämter inne. Nach seiner Promotion lehrte er der Botschaft zufolge an Universitäten im Libanon und in Frankreich.

Nach Angaben des Senders Voice of Lebanon nominierten 90 von 128 Abgeordneten des Parlaments den Diplomaten. Vorgeschlagen worden war er von Ex-Ministerpräsident Saad Hariri, der den größten sunnitischen Block im Parlament anführt. Auch die einflussreiche schiitische Hisbollah und ihre Verbündeten sagten Adib Unterstützung zu.

Der bisherige Ministerpräsident Hassan Diab hatte nach der Explosion in Beirut mit mehr als 180 Toten und mehr als 6000 Verletzten den Rücktritt der Regierung erklärt. Die höchsten Staatsämter werden im Libanon nach einem jahrzehntealten Proporzsystem unter den größten Konfessionen verteilt. Der Präsident muss immer ein Christ sein, der Premier ein Sunnit und der Parlamentschef ein Schiit.

Für den Libanon ist es der zweite Regierungswechsel in weniger als einem Jahr. Diab hatte das Amt des Ministerpräsidenten erst im Frühjahr übernommen, nachdem sein Vorgänger Hariri im vergangenen Oktober nach Massenprotesten seinen Rücktritt erklärt hatte.

Vor dem neuen Premier liegt eine Mammutaufgabe. Das Land am Mittelmeer leidet seit Monaten unter einer der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrisen seiner Geschichte. Viele Libanesen sind in die Armut gestürzt, es droht ein Staatsbankrott. Die Corona-Pandemie und die schwere Explosion haben die Lage weiter verschärft. Die Regierung verhandelt seit Monaten mit dem Internationalen Währungsfonds IWF über ein Rettungsprogramm, ohne dass es bisher eine Einigung gab.

In den vergangenen Monaten war es immer wieder zu Massenprotesten gekommen, die grundlegende politische Reformen fordern. Die Demonstranten werfen der politische Elite des Landes unter anderem Korruption und Selbstbereicherung vor. Nach der Explosion wuchs die Wut vieler Libanesen auf die herrschenden Politiker weiter.

Am Abend wurde Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu seinem zweiten Besuch innerhalb eines Monats in Beirut erwartet. Er war bereits kurz nach der Explosion Anfang August in den Libanon gereist. Damals sagte er dem Land Hilfe zu, forderte aber zugleich politische Reformen. Als frühere Mandatsmacht hat Frankreich noch immer enge Beziehungen zum Libanon. Macron will am Dienstag an den Feiern zur Ausrufung des Großlibanons vor 100 Jahren teilnehmen.

© dpa-infocom, dpa:200831-99-376088/2

Informationen der libanesischen Botschaft zu Mustafa Adib