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Kein Zweitligaspiel in Dresden
Neue Demos in Chemnitz - Verdächtiger hatte falsche Papiere

Franziska Giffey
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey legt am Tatort in Chemnitz einen Strauß Blumen nieder. Foto: Sebastian Kahnert
Nach dem gewaltsamen Tod eines Deutschen werden in Chemnitz neue Auseinandersetzungen erwartet. Die Polizei will mit einem Großaufgebot dagegenhalten. Das hat auch Folgen für den Fußball.

Chemnitz (dpa) - Kurz vor weiteren Demonstrationen in Chemnitz sind neue Details über einen Iraker bekannt geworden, der an der Tötung eines 35-Jährigen Deutschen in der sächsischen Stadt beteiligt gewesen sein soll.

Eine Untersuchung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg habe ergeben, dass zwei der von dem Mann vorgelegten Personaldokumente «Totalfälschungen» seien, berichtete der «Spiegel» am Freitag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) äußerte sich zunächst nicht zu dem Bericht.

An diesem Samstag steht die Polizei in der Stadt vor einer weiteren Bewährungsprobe: Die AfD und das ausländerfeindliche Bündnis Pegida riefen zu einem Trauermarsch auf. Zudem ist eine Gegendemonstration eines breiten Bündnisses unter dem Motto «Herz statt Hetze» geben.

Die Polizei geht von einer Teilnehmerzahl «im unteren fünfstelligen Bereich» aus, wie Landespolizeipräsident Jürgen Georgie mitteilte. Das Land habe Unterstützung aus anderen Bundesländern angefordert und alle verfügbaren Kräfte bekommen. Auch Wasserwerfer und Reiter stünden bereit.

Wegen der Sicherung der Demonstrationen in Chemnitz sorgte die sächsische Polizei für die Verlegung des Zweitliga-Spiel zwischen Dynamo Dresden und dem Hamburger SV. Um die Herausforderungen stemmen zu können, bat sie um eine Verlegung der Begegnung am Samstag in Dresden. Beide Clubs sagten daraufhin die Begegnung ab.

Als erstes Mitglied der Bundesregierung besuchte Familienministerin Franziska Giffey am Freitag den Ort, an dem vor fast einer Woche ein 35-jähriger Deutscher durch Messerstiche getötet wurde. «Es ist ein zutiefst emotionales Erlebnis auch für mich gewesen, dort am Tatort zu sein», sagte die SPD-Politikerin.

Als Tatverdächtige sitzen ein 22-jähriger Iraker und ein 23 Jahre alter Syrer in Untersuchungshaft. Zu den beiden Asylbewerbern gibt es nun mehr Einzelheiten. Laut Verwaltungsgericht Chemnitz hätte der Iraker im Mai 2016 nach Bulgarien abgeschoben werden können. Dies sei aber nicht vollzogen worden, weshalb die Überstellungsfrist von sechs Monaten abgelaufen war.

Der Mann war zuerst in Bulgarien als Asylbewerber registriert worden. Das Bamf prüfe, warum die Abschiebung nicht erfolgt sei, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Bei der möglichen Abschiebung gab es offenbar eine Kommunikationspanne bei den Behörden: Die Landesdirektion Sachsen teilte mit, die Zentrale Ausländerbehörde sei von einem falschen Termin zur Rücküberstellung ausgegangen. Der ursprüngliche Termin sei durch ein Gerichtsverfahren ausgesetzt und verschoben worden.

Nach Angaben der Vorsitzenden des Bundestags-Innenausschusses, Andrea Lindholz (CSU), hat sich der Iraker zwei gefälschte Identitäten zugelegt. «Ich weiß, dass er mit zweifach gefälschten Papieren unterwegs gewesen ist, und dass sich der Mann zweimal in die Niederlande abgesetzt hat und auch mit zwei Identitäten unterwegs gewesen ist», sagte Lindholz «SWR Aktuell».

Die tödliche Messerattacke war Anlass für rechtsgerichtete Demonstrationen am Sonntag und Montag. Aus denen heraus war es zu ausländerfeindlichen Attacken gekommen. Wegen der Vorkommnisse riet das Schweizer Außenministerium zur Vorsicht. «#Deutschland: Lassen Sie in der Umgebung von Demonstrationen Vorsicht walten, da Ausschreitungen möglich sind», heißt es bei Twitter und auf der Webseite des Ministeriums mit den Reisehinweisen für Deutschland.

Zu dem Marsch von AfD und Pegida wird auch der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke erwartet. Parallel dazu findet erneut eine Kundgebung des rechtspopulistischen Bündnisses Pro Chemnitz statt, das bereits die Demonstration initiiert hatte, bei der auch gewaltbereite Hooligans und Rechtsextreme dabei waren.

Dagegen hat sich breiter Protest formiert. Mehr als 70 Vereine, Organisationen, Parteien, Verbände, Vereine, Initiative und Privatpersonen riefen zu einer Gegendemonstration unter dem Motto «Herz statt Hetze» auf.

Prominente Politiker wollen die Veranstaltung unterstützen. So haben sich von den Grünen Cem Özdemir und Parteichefin Annalena Baerbock angesagt, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Generalsekretär Lars Klingbeil vertreten die SPD und von der Linkspartei kommt Bundestags-Fraktionschef Dietmar Bartsch.

In Berlin gingen am Freitag erneut zahlreiche Menschen gegen Rechtsextremisten und Ausländerfeindlichkeit auf die Straße. Nach einer Demonstration mit rund 5000 Teilnehmern am Donnerstagabend in Berlin-Neukölln versammelten sich am Freitag rund 1000 Demonstranten vor der Landesvertretung Sachsens in Berlin-Mitte.

Der suspendierte sächsische Justizbeamte, der den Haftbefehl des Irakers fotografiert und weitergeben hatte, hat ein Jobangebot bei der AfD bekommen. Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Stefan Räpple bot dem Mann eine Stelle an. Nun prüft die Justiz den Vorgang, hieß es.

Marschieren mit Deutschlandfahnen

Wie geht es weiter in Chemnitz?

Chemnitz kommt nicht zur Ruhe. Ein Rückblick:

SONNTAG, 26. August: Nachts wird ein 35 Jahre alter Deutscher durch Messerstiche getötet, zwei weitere werden verletzt. Die Polizei gibt zunächst keine Informationen zu den Nationalitäten der Tatverdächtigen bekannt. Hunderte Demonstranten folgen am Nachmittag dem spontanen Aufruf einer fremdenfeindlichen Hooligan-Gruppe. Sie ziehen durch die Innenstadt, einige attackieren ausländisch aussehende Menschen.

MONTAG, 27. August: Gegen einen 22 Jahre alten Iraker und einen 23-jährigen Syrer wird wegen gemeinschaftlichen Totschlags Haftbefehl erlassen. Am Abend kommen Tausende vor dem Karl-Marx-Monument zu einer Kundgebung der rechtspopulistischen Bewegung Pro Chemnitz zusammen - darunter gewaltbereite Neonazis und Hooligans. Ihnen stehen etwa 1500 Gegendemonstranten gegenüber. Knapp 600 Polizisten sind im Einsatz, 20 Menschen werden verletzt. Menschen zeigen den Hitlergruß.

DIENSTAG, 28. August: Den Messerstichen am Sonntag ist kein sexueller Übergriff auf eine Frau vorausgegangen. Die Polizei bestätigt entsprechende Gerüchte nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht den Angehörigen des Getöteten ihr Mitgefühl aus. Sie bekräftigt zudem, dass in einem Rechtsstaat kein Platz für Hetzjagden auf Ausländer ist.

MITTWOCH, 29. August: Im Internet taucht der Haftbefehl mit Details zu den mutmaßlichen Tätern auf. Die Staatsanwaltschaft Dresden will wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen ermitteln. Mehrere Künstler wie Die Toten Hosen, Marteria, Casper und Kraftklub kündigen für Montag ein Konzert gegen Fremdenfeindlichkeit an.

DONNERSTAG, 30. August: Ein Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Dresden wird vom Dienst suspendiert. Er hatte den Haftbefehl veröffentlicht. Während eines Bürgergesprächs mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und der Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) folgen rund 900 Menschen einem Protestaufruf von Pro Chemnitz.