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Coronavirus
Regierungsberater warnt vor Kollaps der britischen Kliniken

Lage in Großbritannien
Krankenwagen vor dem Royal London Hospital. Foto: Aaron Chown/PA Wire/dpa
Trotz Lockdowns verzeichnet Großbritannien immer neue Rekorde bei Infektionszahlen und Todesfällen. Besonders schlimm ist die Lage in London. Dort rief Bürgermeister Sadiq Khan den Katastrophenfall aus. Die Lage in den Kliniken ist extrem angespannt.

London (dpa) - Nach der Ausrufung des Katastrophenfalls in London wegen der hohen Auslastung der Krankenhäuser rechnen Experten in Großbritannien mit einer weiteren Verschärfung der Situation.

Der medizinische Chefberater der Regierung, Chris Whitty, warnte am Sonntag in einem Gastbeitrag für die «Times on Sunday» vor einem Kollaps des Gesundheitssystems. «Wenn das Virus so weitermacht, werden Krankenhäuser in echten Schwierigkeiten sein, und zwar bald», schrieb der Medizinprofessor. Das könne schon in wenigen Wochen der Fall sein.

Die Wartezeit für eine Behandlung der Patienten werde sich auf ein potenziell gefährliches Niveau erhöhen, so Whitty weiter. Das Verhältnis von Krankenhauspersonal zu Patienten werde inakzeptabel werden. Der Gesundheitsdienst sei in manchen Teilen des Landes derzeit der gefährlichsten Lage seit Menschengedenken ausgesetzt. «Es wird Todesfälle geben, die vermeidbar gewesen wären.»

Vor den Notaufnahmen stauen sich schon jetzt die Rettungswagen. Patienten müssten teilweise bis zu neun Stunden auf ein Krankenhausbett warten, sagte die Geschäftsführerin des britischen Verbands der Rettungssanitäter (College of Paramedics), Tracy Nicholls, dem Nachrichtensender Sky News.

Allein am Samstag waren in Großbritannien knapp 60.000 Neuinfektionen gemeldet worden. Verantwortlich dafür machen die Regierung und Mediziner unter anderem eine neue, wohl noch ansteckendere Virus-Variante, die in Teilen des Landes grassiert. Zudem werden die Regeln zur Eindämmung des Erregers nicht mehr so konsequent eingehalten. Whitty rief die Menschen daher dringend auf, zuhause zu bleiben. «Jede unnötige Interaktion, die sie haben, könnte das Glied in einer Kette von Übertragungen sein, an deren Ende eine gefährdete Person steht», erklärte der Mediziner.

Die Gesamtzahl der nachweislich mit dem Coronavirus infizierten Toten in Großbritannien hatte am Samstag die Marke von 80.000 überschritten. In Wirklichkeit dürften es noch mehr sein. Rechnet man die aktuellsten Zahlen zusammen mit den Sterbefällen, die per Totenschein in einen Zusammenhang mit Covid-19 gebracht werden, liegt die Zahl bei 95.000.

Besonders schlimm ist die Lage in London. Dort hatte Bürgermeister Sadiq Khan am Freitag den Katastrophenfall ausgelöst. Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt dort inzwischen bei mehr als 1000. Das ist die Anzahl der Ansteckungen innerhalb einer Woche pro 100.000 Einwohner. Die Bedrohung, die das Coronavirus für die Stadt darstelle, sei an einem kritischen Punkt, sagte Khan einer Mitteilung zufolge. «Wenn wir nicht unverzüglich handeln, könnte unser (Gesundheitsdienst) NHS überwältigt werden und mehr Menschen werden sterben.»

Die Zahl der im Krankenhaus behandelten Covid-19-Patienten sei allein in der ersten Januarwoche in London um knapp ein Drittel, die Zahl der künstlich beatmeten Patienten um mehr als 40 Prozent gestiegen, hieß es in der Mitteilung des Bürgermeisters. Zur Hilfe kamen dem Gesundheitsdienst unter anderem Feuerwehrleute und Polizisten, die als Fahrer von Krankenwagen eingesetzt wurden.

Die Regierung hatte in der vergangenen Woche den inzwischen dritten landesweiten Lockdown ausgerufen. Doch nach Ansicht einiger Experten wird das nicht ausreichen, um die Zahl der Infektionen zu senken.

Die Hoffnung ruht nun darauf, dass so schnell wie möglich breite Bevölkerungsschichten geimpft werden können. Am Freitag ließ die Regierung in London mit dem Impfstoff des US-Herstellers Moderna bereits das dritte Präparat zu. Bereits im Einsatz sind das Mittel von Biontech/Pfizer und der Impfstoff der Universität Oxford und des Konzerns Astrazeneca.

Bislang sind in Großbritannien nach Angaben der Regierung bereits knapp zwei Millionen Menschen gegen Covid-19 geimpft werden. Das Tempo der Impfkampagne soll jedoch deutlich beschleunigt werden. Ziel ist es, bis Mitte Februar den besonders gefährdeten 15 Millionen Briten eine erste Impfung anzubieten. Um das umzusetzen, wurde auch die Armee zur Hilfe gerufen. Dabei sollen nach Angaben von Premier Boris Johnson auch militärische Strategien zum Einsatz kommen. Auch er rief die Menschen dringend auf, zuhause zu bleiben.

Gesundheitsminister Matt Hancock sah die Regierung auf Kurs, ihr Impfziel zu erreichen. Derzeit würden täglich 200.000 Menschen geimpft, so der Minister. Außerdem sollen Infektionsketten durch massenhafte Schnelltests bei Menschen ohne Symptome durchbrochen werden. Zwei Millionen Antigen-Tests sollen dafür von kommendem Freitag an zur Verfügung stehen, kündigte Hancock an.

© dpa-infocom, dpa:210110-99-963866/5