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Parallelwelt aus Waffen: Prozess gegen die «Gruppe S.»

Eine Figur der blinden Justitia
Eine Figur der blinden Justitia. Foto: Sonja Wurtscheid/dpa/Symbolbild
Ein Dutzend Männer im Kampf gegen die Demokratie? Im Prozess gegen zwölf mutmaßliche Rechtsterroristen in Stuttgart tun sich Abgründe auf. Ein Ausflug in die rechte Unterwelt, der an den NSU erinnert.
Stuttgart.

Stuttgart (dpa) - Es sind zwölf ganz unterschiedliche Männer, die da auf der Anklagebank sitzen. Einer ist Krankenpfleger, einer Trockenbauer, einer Lagerist, mehrere sind arbeitslos. Der eine ist 61 Jahre alt, der andere gerade mal 32. Der eine kommt aus Minden in Nordrhein-Westfalen, der andere aus München in Bayern. Der eine trägt die Haare schulterlang, der andere trägt Glatze. Aber glaubt man der Bundesanwaltschaft, verbindet alle zwölf Männer eine Gemeinsamkeit: der Hass auf Ausländer, auf Muslime und Juden, auf politisch Andersdenkende. Und der Wunsch nach einer neuen Gesellschaftsordnung, einem anderen Deutschland, das mit Gewalt geschaffen werden muss.

Diese Gemeinsamkeit ist der Grund, warum die zwölf Männer hier nun sitzen, am Dienstag vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim, wo sich in den 70er Jahren bereits die Anführer der Rote Armee Fraktion verantworten mussten. Nun geht es um rechtsextremen Terror. Die terroristische Vereinigung «Gruppe S.», benannt nach ihrem mutmaßlichen Rädelsführer Werner S., soll Schwerter und Schusswaffen gehortet und Anschläge geplant haben. Sie wollten Moscheen in kleinen Ortschaften überfallen und Muslime töten, die Pläne sollen zum Ende hin sehr konkret geworden sein. Der Anklage zufolge wollten sie damit «bürgerkriegsähnliche Zustände» auslösen und die Gesellschaftsordnung ins Wanken bringen.

Die Verhandlung ist ein Mammutprozess. Im Gerichtssaal wimmelt es am Dienstagmorgen von Ordnern der Justiz und von Rechtsanwälten in schwarzen Roben. Einige Angeklagte halten sich Ordner vors Gesicht, als sie in Handschellen in den Saal geführt wird, andere betreten erhobenen Hauptes den Raum, nur die Corona-Maske als Verhüllung. Sie sitzen abgetrennt hinter dickem Panzerglas. Es ist ein besonderes Verfahren, weil es darum geht, wie Rechtsextremisten sich in Deutschland vernetzen, wie sie denken, wie gefährlich sie sind - einige Jahre nach dem NSU-Terror.

Im Zentrum steht Werner S., 55 Jahre, aus dem Raum Augsburg. Auf sein Betreiben soll sich die Gruppe im September 2019 gegründet haben. «Er war der Kopf», sagt auch Oberstaatsanwältin Judith Bellay. Werner S. habe Mitglieder rekrutiert, Aufgaben zugewiesen, Waffen besorgt, sei für die anderen derjenige gewesen, «an dem kein Weg vorbeiführt». Bereits 2014 reift in ihm demzufolge der Gedanke, dass er gegen die «drohende Überfremdung» in Deutschland etwas unternehmen muss. In Chatgruppen sucht er gewaltbereite Gleichgesinnte. Er will eine kleine Armee aufbauen, sieht seine Gruppe der Anklage zufolge als ersten Dominostein, der eine Spirale der Gewalt in Gang setzt.

Er habe dafür gezielt Führungspersonal aus der rechten Szene anwerben wollen, weil er sich von ihnen viel Mobilisierungspotenzial versprochen habe. Er und seine Männer seien gut vernetzt gewesen in der rechtsextremen Szene, sagt Oberstaatsanwältin Bellay. Sie rekrutierten sich laut Anklage aus Bürgerwehren und rechten Gruppen wie «Vikings Security Germania» oder «Freikorps Heimatschutz Division 2016 - Das Original». Sie hätten teils enge Kontakte zu Waffenlieferanten besessen. Einer von ihnen war demzufolge Angestellter in einem Verkehrskommissariat der Polizei.

Die Männer kommunizierten der Anklage zufolge über Telegram-Chatgruppen, etwa mit dem Titel «Heimat». Dabei waren sie vorsichtig, vereinbarten, dass keine Bilder von Waffen oder etwa von Adolf Hitler gepostet werden dürfen. Trotzdem verraten die Ermittlungsakten viel darüber, was in ihren Köpfen vorgeht. Die Angeklagten teilen demnach eine ausländerfeindliche und nationalsozialistische Grundhaltung, sie sprechen von «Menschenmüll» und «Kakerlaken». Mitglieder schwören sich «Treue im Tod» oder berichten ihren Lebensgefährten, sie würden im Kampf sterben. Wie die Oberstaatsanwältin berichtet, benutzten sie verschiedene Codewörter für Waffen - «E-Bike», «Akku», «Tretroller», «Hardware».

Im September 2019 trifft sich die Gruppe dann persönlich, auf einem Grillplatz an der «Hummelgautsche» im baden-württembergischen Alfdorf (Rems-Murr Kreis). «Die Gruppe war sich über die Provozierung eines Bürgerkriegs und eines Systemwandels einig», sagt Bellay. Sie wollten demzufolge Muslime töten, hatten aber auch Politiker und Andersdenkende im Visier. «Bei Brot und Wein wird Krieg besprochen», mit diesen Worten soll Werner S. seine Gruppe auf ein weiteres Treffen Anfang 2020 eingestimmt haben. Es sollte «ums Eingemachte gehen».

Am 14. Februar wird die Bande hochgenommen. In bundesweiten Razzien stoßen die Ermittler auf allerhand Waffen - Armbrüste, Revolver, Schwerter, Schlagstöcke, Munition. Von den zwölf Angeklagten sitzen seitdem elf in Untersuchungshaft. Einer befindet sich auf freiem Fuß - er hat die Ermittler auch auf die Fährte der Gruppe gebracht, gilt als Kronzeuge in dem Verfahren. Ein ursprünglich dreizehnter Beschuldigter starb vergangenes Jahr in der U-Haft.

Ob sich einer der Angeklagten in dem Prozess selbst äußert, ist unklar. Zum Auftakt am Dienstag werden vor allem Verfahrensfragen geklärt, etwa wie lange die Mittagspausen sein sollen, ob die Angeklagten rauchen dürfen in den Pausen, ob die Beteiligten Masken tragen müssen. «Ich wüsste hier kein Verfahren, das so viele Angeklagte hatte», sagte der Gerichtssprecher des Oberlandesgerichts. Bis Mitte 2022 sind Termine für die Verhandlungen geblockt.

«Für uns alle ist das Neuland, was den Umfang angeht», sagte Rechtsanwalt Daniel Sprafke, der einen der Angeklagten vertritt. Er betonte zum Prozessauftakt, dass die Gruppe keineswegs homogen sei. Nicht alle hätten am gleichen Strang gezogen - «wenn überhaupt». Klar ist: Bis zu einer Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.

© dpa-infocom, dpa:210412-99-176723/7

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