1. Startseite
  2. Überregionales
  3. Deutschland
Logo

Missbrauch
Alt-Erzbischof Zollitsch gesteht «gravierende Fehler» ein

Robert Zollitsch
Robert Zollitsch war bis 2014 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Foto: Patrick Seeger
Seit über zehn Jahren erschüttert der sexuelle Missbrauch von Kindern die katholische Kirche. Das Missbrauchsgutachten für das Erzbistum Freiburg lässt auf sich warten. Nun äußert sich der frühere Erzbischof Zollitsch.

Freiburg. Der frühere Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hat Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsvorwürfen eingestanden. In einem am Donnerstag von ihm selbst veröffentlichten zehnminütigen Video bat der 84-Jährige um Entschuldigung und sagte: «Ich habe mit meinem damaligen Verhalten und Handeln, Dokumentieren und Entscheiden gravierende Fehler gemacht und die Gefahren - auch von erneutem Missbrauch - verkannt.» Dies beziehe sich sowohl auf seine Zeit als Personalreferent als auch auf seine Jahre als Erzbischof von Freiburg.

Am 25. Oktober sollte in Freiburg ursprünglich ein Gutachten über den Umgang mit sexuellem Missbrauch veröffentlicht werden. Im September war es jedoch auf kommenden April verschoben worden. Das Erzbistum begründete dies mit der Notwendigkeit einer weiteren rechtlichen Absicherung beim Datenschutz sowie Persönlichkeits- und Presserecht.

Die Aufarbeitung habe für die Bistumsleitung oberste Priorität, teilte die Erzdiözese nun mit. Das sei man den Betroffenen schuldig. «Daher begrüßt die Erzdiözese Freiburg, dass sich der im Jahr 2013 emeritierte Erzbischof Dr. Robert Zollitsch mit seiner Verantwortung auseinandersetzt», hieß es in der Erklärung.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bischöfe, Helmut Dieser, begrüßte die Erklärung. Verfehlungen im Umgang mit der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs würden klar benannt. Auch andere frühere Verantwortungsträger sollten ebenso deutlich ihre Verantwortung deklarieren, sagte der Aachener Bischof.

Zollitsch: «Zu naiv, zu arglos» gewesen

Sexueller Missbrauch von Kindern erschüttert die katholische Kirche seit über zehn Jahren. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hatte im Mai beim Katholikentag eingeräumt, die Kirche habe zu lange gebraucht, um nicht die Täter, sondern die Opfer zu schützen. Es war über Jahrzehnte hinweg vielfach gängige Praxis, Priester, die Kinder sexuell missbraucht hatten, einfach in die nächste Gemeinde weiterzuversetzen.

«Lange, zu lange Zeit haben mich in meiner Haltung und in meinem Handeln viel zu sehr das Wohl der katholischen Kirche und viel zu wenig die Anteilnahme am Leid der Betroffenen und die Fürsorge für die Opfer geleitet», sagte Zollitsch in dem Video. Es wurde bereits am 31. August aufgenommen, wie Zollitsch' Pressereferent auf Anfrage bestätigte. Er sei «zu naiv, zu arglos» gewesen und habe den Versprechungen der Täter geglaubt, sagte Zollitsch.

Dies bereue er von ganzem Herzen und bitte die Betroffenen um Verzeihung. «Ich weiß, dass ich nicht erwarten kann, dass Sie meine Entschuldigung annehmen.» Die Katholikinnen und Katholiken bat er um «Vergebung für den Schaden, den ich durch mein Handeln unserer Kirche zugefügt habe». Es schmerze ihn, dass er so dazu beigetragen habe, dass sich Menschen ihrer Kirche schämen müssten. «Ja, ich habe schwerwiegende Fehler gemacht.»

Deutliche Schuldeingeständnisse

Diese Formulierungen sind im Vergleich zu anderen Schuldeingeständnissen deutscher Bischöfe auffallend deutlich und weitgehend.

Zollitsch stand sechs Jahre, von 2008 bis 2014, an der Spitze der Bischofskonferenz und war damit in dieser Zeit Gesicht und Stimme der katholischen Kirche in Deutschland. Seit 2003 war er Erzbischof von Freiburg und zuvor von 1983 bis 2003 Personalreferent im Erzbischöflichen Ordinariat. 2014 ging er in den Ruhestand. Das Erzbistum Freiburg ist eine der größten katholischen Diözesen in Deutschland.

Der Freiburger Bericht zum Umgang mit sexuellem Missbrauch wird von der sogenannten AG Aktenanalyse erstellt. Vier externe Fachleute aus Justiz und Kriminalpolizei untersuchen unter anderem, welche Strukturen Vertuschung und Missbrauch in der Vergangenheit möglich gemacht haben. Forschungen anhand von Personalakten nach sexuellem Missbrauch hatten schon früher Erschreckendes zu Tage gefördert: Von Anfang 1946 bis Ende 2015 wurden 190 Beschuldigte entdeckt, die meisten von ihnen Priester, sowie mindestens 442 Betroffene.

Gutachten bereits für Köln und München erstellt

Der Betroffenenbeirat im Erzbistum Freiburg hatte die Verschiebung des Berichts als «harten Rückschlag» bezeichnet. Ähnliche Gutachten hat es auch schon in anderen Bistümern, etwa in Köln und München, gegeben.

Der Betroffenenbeirat teilte nun mit, betroffene Menschen hätten sich den Schritt von Zollitsch schon seit langem gewünscht. Ob ihnen die nun geäußerte Bitte um Verzeihung ausreiche, könne das Gremium nicht beantworten. Viele Betroffene leiden demnach ihr Leben lang an den Folgen der Versäumnisse.

Zollitsch wies in seiner Erklärung daraufhin, dass er nach 2010 als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz erste Schritte zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals mit initiiert habe. In der Kirche habe damals eine «Kultur des Schweigens und der Verschwiegenheit nach außen, des Korpsgeistes und des Selbstschutzes» geherrscht.

© dpa-infocom, dpa:221006-99-25929/5