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Ostbeauftragter
Bericht zur Einheit: Der Osten ist politikskeptischer

Marco Wanderwitz
Ostbeauftragter Marco Wanderwitz stellt den Jahresbericht zum Stand der Einheit vor. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nähern sich Ost und West noch immer an. Die Schritte sind klein. Sorgen machen der Politik vor allem Unterschiede in der politischen Haltung.

Berlin (dpa) - Wirtschaftlich hinkt der Osten noch immer hinterher - und politisch tickt er etwas anders. Zu diesem Schluss kommt die Bundesregierung im Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit, den das Kabinett verabschiedet hat.

Der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz sieht bei vielen Ostdeutschen eine «vertiefte Grundskepsis» gegenüber Politik und Demokratie. «Das ist zwar eine Minderheit, aber die Minderheit ist größer als in den alten Bundesländern», sagte der CDU-Politiker der dpa. Das gefährde die Demokratie.

«Wir müssen es schaffen, die Menschen von Demokratie und Rechtsstaat zu überzeugen», betonte Wanderwitz. «Der Zustand muss aufhören, dass wir vor jeder ostdeutschen Landtagswahl wie das Kaninchen auf die Schlange auf die Wahlergebnisse schauen und zittern, wie viel Prozent extreme Kräfte erreichen.» Man müsse den Menschen zuhören, ihnen auf Augenhöhe begegnen und auch erklären, warum gewisse Dinge nicht funktionierten, wie sie es sich wünschten.

«Ich bin auch frei von Illusionen», sagte Wanderwitz. «Bei einem gewissen Anteil von denen, die Hass auf die Demokratie haben, kann ich mir schwerlich vorstellen, dass man sie damit erreichen kann.» Erst vor kurzem hatte der Ostbeauftragte für Aufsehen gesorgt, weil im «FAZ-Podcast für Deutschland» sagte: «Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind.» Ein Teil der Bevölkerung habe «gefestigte nichtdemokratische Ansichten».

Bericht zum Stand der Einheit

Laut Einheitsbericht sind die Bürgerinnen und Bürger in den ostdeutschen Ländern der Politik gegenüber skeptischer, distanzierter und kritischer eingestellt. Trotz vieler Erfolge auf dem Weg zu gleichwertigen Lebensverhältnissen seien die Menschen nicht gleichermaßen zufrieden. Die politische Einstellung gehöre zu den wenigen Feldern, in denen es noch Ost-West-Unterschiede gebe - auch wenn diese Unterschiede «durchweg gradueller und nicht substanzieller Art» seien.

Doch auch mit ihrer Wirtschaftsleistung hinken die ostdeutschen Länder weiter hinterher. Zwar verbesserte sich die Wirtschaftskraft von Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zwischen 2010 und 2020 von 76 auf 81 Prozent des Bundesdurchschnitts. Der Rückstand ist aber weiter deutlich.

Ostbeauftragter sieht Fortschritte

Wanderwitz sieht trotzdem wichtige Fortschritte: Bei Ansiedlungen von Behörden und Forschungseinrichtungen im Osten sei man gut vorangekommen. Außerdem solle die Region bei Zukunftstechnologien wie Wasserstoff «auf die Überholspur» kommen. In der Corona-Krise schnitten die neueren Länder laut Wanderwitz durch ihre andere Wirtschaftsstruktur mit weniger Großindustrie bereits besser ab als der Westen.

Viele Unterschiede zwischen Ost und West seien ohnehin nicht mehr überwiegend mit dem Umbruch nach der Wiedervereinigung 1990 zu begründen, sagte der Ostbeauftragte. Vielmehr stellten sich allen strukturschwachen Regionen in Deutschland die gleichen Herausforderungen. Die Ost-Länder müssten diese allerdings häufig von schlechteren Ausgangssituationen aus angehen. Seit 2020 werde deshalb nicht mehr nach Himmelsrichtung, sondern nach tatsächlichem Bedarf gefördert.

Kritik an Ost-Politik

Trotz aller Fortschritte blieben Ostdeutsche aber auch 30 Jahre nach der Einheit «vielfach Bürger zweiter Klasse», kritisierte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. «Die ostdeutsche Kanzlerin (Angela Merkel, CDU) hat es in 16 Jahren nicht geschafft, die Einheit zu vollenden», erklärte er. Wirtschaft und Lohnniveau glichen sich viel zu langsam an.

Der Vorsitzende der ostdeutschen FDP-Abgeordneten, Hagen Reinhold, erklärte, die Bundesregierung habe die von Wanderwitz beklagte Demokratie-Skepsis selbst befeuert - auch, indem sie während der Corona-Pandemie über Monate Entscheidungen ohne Beteiligung der Parlamente getroffen habe. Die Grünen-Abgeordnete Claudia Müller forderte eine zielgenauere Wirtschaftspolitik, DGB-Vorstand Stefan Körzell gleiche Löhne in Ost und West.

© dpa-infocom, dpa:210707-99-293520/3