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Pandemie
Bundes-Notbremse soll Ausgangsbeschränkungen bringen

Lockdown
Die Menschen in weiten Teilen Deutschlands müssen sich auf Ausgangsbeschränkungen und geschlossene Läden nach bundesweit verbindlichen Vorgaben einstellen. Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa
Lockdown
Das Gastgewerbe - wie hier in Berlin - leidet weiterhin schwer unter den Folgen des Corona-Lockdowns. Foto: Paul Zinken/dpa-Zentralbild/dpa
Geschlossen
Leere Tische und Bänke stehen vor einer Kneipe in der Altstadt von Halle/Saale. Die Politik ringt um eine bundesweite Corona-Notbremse. Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa
Die Corona-Zahlen klettern, aber Bund und Länder taten sich schwer mit einem gemeinsamen Kurs. Nach wochenlangem Hickhack soll nun der Lockdown verschärft werden.

Berlin (dpa) - Ausgangsbeschränkungen, geschlossene Läden, Testpflicht an Schulen: Die Menschen in weiten Teilen Deutschlands müssen sich auf strenge Lockdown-Maßnahmen nach bundesweit verbindlichen Vorgaben einstellen.

In allen Kreisen und Städten mit hohen Infektionswerten soll es Einschränkungen geben. Entsprechende Änderungen des Infektionsschutzgesetzes hat die Bundesregierung am Dienstag beschlossen. Ziel ist die bessere Eindämmung der Corona-Pandemie. Kommende Woche sollen die Neuerungen vom Parlament beschlossen werden und dann den Bundesrat passieren - trotz deutlicher Kritik einiger Länder und der Opposition im Bundestag.

«Wir setzen die Notbremse bundesweit um», sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu ihren Plänen. «Die Unklarheiten, was in dem einen oder anderen Landkreis wann gilt oder was wann nicht gilt - das ist dann vorbei.» Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) erklärte nach dpa-Informationen in der Sitzung der SPD-Fraktion, die Bürger blickten nicht mehr durch bei den Corona-Regeln. «Ziel des Gesetzentwurfs ist es, klare und einheitliche Regeln zu schaffen und die Grundlage zu legen, dass die Notbremse bei Inzidenzen über 100 konsequent gezogen wird.»

Die nächtlichen Verhandlungsrunden von Union, SPD und Bundesregierung hatten zwar einen kabinettsreifen Beschluss geliefert, die Gespräche im Bundestag gehen aber weiter. «Die nächsten Tage nutzen wir, um die bundesgesetzlichen Maßnahmen widerspruchsfrei und verfassungsfest auszugestalten», sagte der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco Luczak (CDU), der Deutschen Presse-Agentur.

Vorgesehen sind nun unter anderem Ausgangsbeschränkungen. So soll von 21.00 bis 5.00 Uhr der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung oder eines dazugehörigen Gartens im Grundsatz nicht erlaubt sein, wobei es Ausnahmen gibt. Gelten sollen diese und andere Beschränkungen, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die 7-Tage-Inzidenz über 100 liegt. Das bedeutet, dass binnen einer Woche mehr als 100 Neuinfizierte auf
100.000 Einwohner kommen.

Dieser Punkt ist allerdings umstritten. «Im weiteren Verfahren werden wir nochmal intensiv prüfen, dass neben dem Inzidenzwert weitere Kriterien herangezogen werden», kündigte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese an. Auch die FDP hat hier Bedenken. Die Inzidenzzahl bilde die Lage vor Ort nicht ausreichend ab, sagte FDP-Chef Christan Lindner. Wenn es in einem Landkreis einen isolierten Ausbruch etwa in einem fleischverarbeitenden Betrieb gebe, dann werde laut Gesetz noch dutzende Kilometer entfernt auch geimpften Menschen der Abendspaziergang verboten.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte, die Regeln zum Einzelhandel seien unakzeptabel. Shoppen mit «Click & Collect» müsse auch bei einer Inzidenz über 100 generell möglich bleiben. Auch pauschale Ausgangssperren bei einer Inzidenz über 100 lehnt seine Jamaika-Koalition weiter ab.

Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte sagte «Welt», große rechtliche Probleme sehe er bei der Ausgangssperre. «So wie sie bislang vorgesehen ist, nämlich ohne Berücksichtigung der konkreten Situation vor Ort, kann ich mir nur sehr schwer vorstellen, dass sie vor Gericht Bestand haben wird.»

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte dagegen, die geplanten Ausgangsbeschränkungen nicht aufzuweichen. Sie hätten in Portugal, England und Frankreich eine wichtige Rolle bei der Pandemiebekämpfung gespielt, sagte er der «Augsburger Allgemeinen».

In einem neuen Paragrafen 28b des Infektionsschutzgesetzes soll ferner festgelegt werden, dass private Zusammenkünfte im öffentlichen oder privaten Raum dann nur gestattet sind, wenn an ihnen höchstens die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person einschließlich dazugehörender Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres teilnehmen.

Unter anderem dürfen bei einer höheren Inzidenz zudem die meisten Läden und die Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie die Gastronomie in der Regel nicht öffnen. Übernachtungsangeboten zu touristischen Zwecken sollen bei entsprechenden Inzidenzen in einer Region untersagt sein.

An Schulen soll Präsenzunterricht nur mit zwei Coronatests pro Woche gestattet werden. Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die 7-Tage-Inzidenz 200, soll Präsenzunterricht untersagt werden.

Vorgesehen ist zudem, dass der Bund über eigene Verordnungen die Corona-Maßnahmen vor Ort steuern kann - dazu bräuchte es aber jeweils die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat Dieser Zustimmungsvorbehalt des Bundestags sei ein entscheidender Punkt, sagt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, der das Gesetz mit ausgehandelt hat. «Hier haben wir als SPD-Fraktion bereits jetzt einen wichtigen Punkt verankert.» Die FDP sieht das deutlich kritischer. Die Einbindung des Parlaments bleibe vage, kritisierte Buschmann. Die Frist sei zu kurz.

Aus Sicht der AfD drohen massive und automatische Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte. Die Bundesregierung maße sich Kompetenzen an, die ihr nicht zustehen, um von ihrem offenkundigen Versagen etwa bei der Impfstoffbeschaffung abzulenken.

Auch die Grünen reagierten enttäuscht. «Was wir jetzt vorgelegt bekommen haben, ist ein Notbehelf für eine Notbremse», sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Sie vermisste insbesondere schärfere Vorgaben für die Arbeitswelt, mit weiterreichenden Vorgaben für das Homeoffice und Pflichttests, sowie mehr Schutz für Kinder und Jugendliche. Bereits ab einer Inzidenz von 100 müsse der Präsenzunterricht zurückgefahren werden.

Lebensfremd sei auch, dass bei den Regelungen zur Kontaktbeschränkung nicht zwischen Begegnungen in Innenräumen und an frischer Luft unterschieden wird, sagte Göring-Eckardt. Erst tags zuvor hatten führende Aerosol-Forscher darauf hingewiesen, dass Sars-CoV-2 fast ausnahmslos in Innenräumen übertragen wird.

Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) kritisierte die geplante Corona-Notbremse für die Schulen als unzureichend. «Für alle anderen Bereiche gilt die Notbremse ab 100, im Bildungsbereich kann bis zur doppelten Inzidenz Unterricht vor Ort stattfinden», stellte der Gewerkschaftschef Udo Beckmann fest. «Für diese Abweichung fordern wir eine wissenschaftlich belegbare Begründung und die Festlegung von Maßnahmen, die zusätzlich bei Inzidenzen zwischen 100 und 200 zu ergriffen sind.»

Stundenlang war unter Hochdruck über die Regelungen verhandelt worden. Nach dpa-Informationen sollen in der Vorlage Fraktions- und Länderwünsche von der Bundesregierung in wichtigen Punkten berücksichtigt worden sein.

Die Corona-Zahlen steigen seit Tagen immer weiter. Die 7-Tage-Inzidenz lag am Dienstag bundesweit bei 140,9. Einen höheren Wert hatte es zuletzt vor drei Monaten, am 15. Januar, gegeben. Laut Robert Koch-Institut (RKI) gab es zudem binnen eines Tages 10.810 Corona-Neuinfektionen und 294 neue Todesfälle. Der 7-Tage-R-Wert, der die Weitergabe des Erregers durch eine Person rechnerisch beschreibt, stieg auf 1,09. Auf Intensivstationen liegen 4688 Covid-19-Patienten Die Intensivmediziner-Vereinigung Divi hatte die Politik bereits dazu aufgerufen, die Notbremse möglichst noch diese Woche zu verabschieden.

Neben der Novelle des Infektionsschutzgesetzes hat das Kabinett auch eine Pflicht für Angebote von Coronatests in Unternehmen auf den Weg gebracht. Der Entwurf einer geänderten Arbeitsschutzverordnung sieht vor, dass die Unternehmen ihren Beschäftigten in der Regel einmal in der Woche Tests zur Verfügung stellen.

© dpa-infocom, dpa:210413-99-180544/9

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