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Illegale Rennen
Mit Vollgas für den Kick: Raserei auf deutschen Straßen

Andreas Winkelmann
Andreas Winkelmann ist 1. Oberamtsanwalt der Amtsanwaltschaft Berlin. Foto: Carsten Koall/dpa
Eine glatte Fahrbahn, ein schnelles Auto, dann der Blitzstart mit quietschenden Reifen. Zumeist junge Männer liefern sich immer wieder illegale Rennen auf vielen Straßen Deutschlands. Wer erwischt wird, muss mit Strafe rechnen. Doch hilft das?

Berlin (dpa) - Immer mehr Raser und Fahrer illegaler Autorennen müssen mit Strafverfolgung rechnen.

Allein in der Hauptstadt stieg die Zahl neuer Ermittlungsverfahren in diesem Jahr gegenüber 2018 um mehr als 30 Prozent, wie der Erste Oberamtsanwalt Andreas Winkelmann der Deutschen Presse-Agentur sagte. Im Vorjahr wurden 565 solcher Verfahren eingeleitet. «Seit der Gesetzesänderung 2017 bis zum Ende dieses Jahres werden wir bei den Ermittlungsverfahren die 1000er-Marke überstiegen haben», sagte Winkelmann.

Auch in Nordrhein-Westfalen registrierten Ermittler deutlich mehr illegale Rennen auf der Straße. Allein von Januar bis September ermittelten die Beamten in 456 Fällen - im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 387 Verfahren. Jetzt werde noch mehr kontrolliert, so die Polizei. In Köln gibt es eine spezielle Ermittlungsgruppe. Bis Ende September wurden mehr illegale Raser-Fälle (93 Rennen) als im gesamten Vorjahr aufgenommen.

Bayerische Gerichte verurteilten laut Justizministerium allein 2018 40 Teilnehmer illegaler Autorennen. Auch in diesem Jahr wurden mehrjährige Haftstrafen gegen Raser verhängt.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft erhob in diesem Jahr 14 Anklagen wegen verbotener Rennen, wie eine Sprecherin sagte. Die Polizei hat mit ihrer Kontrollgruppe «Autoposer» schon Tausende Fahrzeuge überprüft. Fast in jedem Monat werden illegale Rennen gemeldet. Ende März starb dabei ein 24-Jähriger.

Im Oktober 2017 wurden illegale Autorennen von einer Ordnungswidrigkeit zur Straftat hochgestuft. Seitdem kann schon die Teilnahme an solchen Rennen laut Strafgesetzbuch mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. Zuvor gab es nur Geldbußen bis zu 400 Euro. Der neue Paragraf 315d im Strafgesetzbuch sieht zudem bis zu zehn Jahre Gefängnis vor, wenn durch ein «verbotenes Kraftfahrzeugrennen» der Tod eines anderen Menschen verursacht wird.

Die Raser in der Hauptstadt seien meist männliche Deutsche zwischen 18 und 30 Jahren, sagte Amtsanwalt Winkelmann. Es gebe hier keine Saison für viel zu schnelles und riskantes Fahren. «Es wird das ganze Jahr über gerast.» Die hochmotorisierten Fahrzeuge im Luxussegment würden meist gemietet.

Meist treffe es die jungen Männer, wenn sie von der Polizei gestellt werden und der Führerschein eingezogen wird, so Winkelmann. Die Beamten seien aber auch vom Zufall abhängig, um Raser auf frischer Tat zu stoppen. Es komme vor, dass ein Polizeiauto bei der Verfolgung von einem Raserwagen abgehängt wird.

In den Gerichtsprozessen reichten die Reaktionen der Angeklagten dann von Bestreiten bis Bereuen. Oberamtsanwalt Winkelmann setzt als Ankläger verstärkt auf die Technik, mit der in Fahrzeugen immer mehr Daten ausgelesen werden, die als Beweise im Prozess verwendet werden.

Die Berliner Amtsanwaltschaft ist neben der Staatsanwaltschaft eine eigenständige Strafverfolgungsbehörde, die es außer in der Hauptstadt nur noch in Frankfurt/Main gibt.

Von den bis Ende November insgesamt ermittelten 967 Berliner Fällen seien 368 Anklage erhoben worden. 160 Raser wurden laut Winkelmann bereits rechtskräftig verurteilt. 107 Mal wurden Geldstrafen verhängt - die bislang höchste betrug 23.850 Euro, in Tateinheit mit Beleidigung. Es habe aber auch mehrere Freiheitsstrafen ohne Bewährung gegeben. 277 Fälle mussten bislang eingestellt werden.

Doch schreckt die Strafverfolgung ab? Winkelmann rechnete in der Hauptstadt nicht mit weniger Fällen. «Es geht um den Kick bei der spontanen Verabredung an der roten Ampel mit röhrendem Motor.» Er forderte Einschränkungen für junge Fahrer beim Führerschein. «Was schadet es denn, wenn nur gestandene, etwas ältere Fahrer in so PS-starken Fahrzeugen ans Steuer dürfen?» Er kritisierte auch die «aggressive Werbung» von Herstellern hochmotorisierter Autos als kontraproduktiv.

Zwar sorgte im März das Berliner Mord-Urteil mit lebenslangen Freiheitsstrafen gegen zwei Raser bundesweit für Aufmerksamkeit. Bei dem illegalen Rennen wurde im Februar 2016 ein unbeteiligter Rentner getötet. Doch auch nach dem spektakulären Schuldspruch wurden immer wieder Raser gestellt.

«Diese Menschen brettern über die Autobahn und schätzen das als beherrschbar ein. Das Gegenteil ist der Fall», sagte der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie, Thomas Wagner, zu den Fällen in Bayern. «Mit einem aufgemotzten Auto legen sich die Herrschaften ein Image zu, das sie sonst nicht haben», meinte der Berliner Amtsanwalt.

Die Vereinigung Berliner Staatsanwälte ist zuversichtlich, dass das Berliner Raser-Urteil einer Prüfung des Bundesgerichtshofs standhält. Sollte die Entscheidung rechtskräftig werden, könnten Strafverfolgungsbehörden deutschlandweit von dem Berliner Urteil lernen, hieß es.