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Rechtsextremismus
Özdemir über Solinger Anschlag: Vater prüfte Feuerlöscher

Özdemir
«Meine Eltern wollten danach, dass ich mich öffentlich zurückhalte, damit ich nicht selber zur Zielscheibe werde»: Cem Özdemir über den Brandanschlag von Solingen. Foto: Fabian Sommer
Seine Eltern erwägten, sich eine Strickleiter zuzulegen. Der Vater guckte immer wieder, ob der Feuerlöscher noch funktionierte: Cem Özdemir über den rassistischen Brandanschlag von Solingen vor 30 Jahren.

Osnabrück (dpa) -. Der Brandanschlag von Solingen vor 30 Jahren mit fünf Toten ist nach der Schilderung von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) ein tiefer Einschnitt im Zusammenleben gewesen und hat auch seine eigene Familie zutiefst verunsichert. «Es war eine große Zäsur, weil das nicht der erste schreckliche Anlass dieser Art war. Davor hatte es schon eine Menge rechtsradikaler Anschläge gegeben, etwa in Hoyerswerda, Lichtenhagen, Mölln und schließlich in Solingen», sagte Özdemir der «Neuen Osnabrücker Zeitung» (Donnerstag) in einem Interview auf die Frage, inwieweit der Brandanschlag in Solingen die türkische Gemeinschaft in Deutschland verändert hat.

Am 29. Mai 1993 hatten Rechtsextreme das Haus der Familie in Solingen in Brand gesetzt. Das Ehepaar Genç verlor bei dem rassistischen Brandanschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. 17 Familienmitglieder waren dabei schwer verletzt worden.

«Meine Eltern wollten danach, dass ich mich öffentlich zurückhalte, damit ich nicht selber zur Zielscheibe werde. Sie haben sich überlegt, ob man sich eine Strickleiter zulegt», schilderte Özdemir und fügte hinzu: «Mein Vater hat immer geguckt, ob der Feuerlöscher noch funktioniert. Das waren Zustände, die man sich gar nicht vorstellen kann.» Die Lichterketten nach dem Anschlag waren nach seinen Worten ein «wahnsinnig wichtig als Signal, dass es eine klare Mehrheit in Deutschland gibt, die das verurteilt. Die nicht wartet, bis die damalige Bundesregierung aufwacht und Maßnahmen ergreift.»

Auf die Frage, was sich seitdem in Deutschland verbessert hat, verwies der Grünen-Politiker auf seinen eigenen Werdegang. «Sie sehen beispielsweise einen Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland vor sich, dessen Vorfahren nicht schon in der Schlacht am Teutoburger Wald gegen die Römer gekämpft haben, sondern woanders herkommen», sagte Özdemir. In der Politik machten heute nicht mehr Migranten Migrationspolitik, sondern kümmerten sich um Klimapolitik, um Sozialpolitik oder eben um Ernährung und Landwirtschaft und Politikerinnen und Politiker ohne Migrationsgeschichte um Migrationsthemen. «Das ist genau das, worum es mir immer ging. Die Mehrheit der Migrantinnen und Migranten hat ein großes Zutrauen in den Rechtsstaat und weiß, dass die Mehrheit in diesem Land nichts mit Rechtsradikalismus am Hut hat», erklärte er.

© dpa-infocom, dpa:230525-99-820367/2