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Neue Rechte
Verfassungsschutz: Höcke und Kalbitz zentrale Akteure der extremen Rechten

Andreas Kalbitz und Björn Höcke
Gelten als zentrale neurechte Akteure: Andreas Kalbitz (l) und Björn Höcke (r). Foto: Martin Schutt
Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021, der bald veröffentlicht wird, dürfte es ausführlich um die Neue Rechte gehen, die Verfassungsschutz-Chef Haldenwang «geistige Brandstifter» nennt.

Berlin/Köln. Die sogenannte Neue Rechte geht nach Einschätzung von Sicherheitsbehörden und Experten gestärkt aus der Corona-Pandemie hervor.

Zu den wichtigsten Akteuren der Szene zählt der Verfassungsschutz aktuell auch zwei bekannte Politiker: «Sowohl Björn Höcke als auch Andreas Kalbitz sind weiterhin zentrale Akteure innerhalb des neurechten Netzwerks», sagte der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, der Deutschen Presse-Agentur.

Kalbitz war einst Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg, Höcke ist in Thüringen AfD-Landespartei- und Fraktionschef. Kalbitz wurde auf Betreiben des inzwischen selbst aus der Partei ausgeschiedenen früheren AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen 2020 die Mitgliedschaft entzogen.

Beobachtet: «Compact-Magazin» und «Institut für Staatspolitik»

Sehr einflussreich innerhalb des neurechten Spektrums seien zudem das als rechtsextremistische Bestrebung eingestufte «Compact-Magazin» und das vom Bundesamt als Verdachtsfall beobachtete «Institut für Staatspolitik» in Schnellroda (Sachsen-Anhalt).

Der Verfassungsschutz definiert die Neue Rechte als informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen, in dem nationalkonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken.

Chefredakteur des «Compact-Magazins» ist Jürgen Elsässer. Das Magazin habe sich «innerhalb des Netzwerks im Zuge der Corona-Pandemie als Sprachrohr etabliert und trägt als multimediales Unternehmen demokratiefeindliche und menschenwürdewidrige Positionen in die Gesellschaft», urteilt der Inlandsgeheimdienst.

Hajo Funke: Impfpflicht-Debatte spielt Rechten in die Hände

Die von den Verantwortlichen in Bund und Ländern mit wenig strategischem Geschick geführte Debatte über die Impfpflicht habe «Rechtsextremisten wie Elsässer» in die Hände gespielt, glaubt der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke. Zahlreiche Vertreter der Neuen Rechten seien bei den Demonstrationen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie vor Ort gewesen und hätten dort auch bei Menschen außerhalb der eigenen Szene Gehör gefunden.

Mitgründer und bekanntester Vertreter des als Verein organisierten «Instituts für Staatspolitik» (IfS) in Sachsen-Anhalt ist der Verleger Götz Kubitschek, der seinerseits Kontakte zu etlichen Mitgliedern der AfD unterhält. Elsässer und er kennen sich seit Jahren. Dass Kubitscheks Veranstaltungen und Publikationen eher ein akademisches Publikum ansprechen, während das «Compact-Magazin» oft eine deftige Tonlage wählt, sehen Experten nicht unbedingt als etwas Trennendes, sondern eher als ein arbeitsteiliges Vorgehen.

Haldenwang: Neue Rechte sind «geistige Brandstifter»

«Die Neue Rechte fungiert als geistiger Brandstifter», sagt Haldenwang. Innerhalb des Netzwerks füllten die Akteure unterschiedliche Rollen und Funktionen aus. Trotz unterschiedlicher ideologischer Verankerung eine sie das Ziel einer Kulturrevolution von rechts.

Höcke sei durch seine Rolle als Thüringer AfD-Landespartei- und Fraktionsvorsitzender ein relevanter Akteur, der aber auch über die Landesgrenzen hinaus einen großen Einfluss innerhalb der AfD besitze. «Auch Andreas Kalbitz ist trotz der Annullierung seiner Parteimitgliedschaft weiterhin eine relevante Größe insbesondere im brandenburgischen AfD-Landesverband», analysiert Behördenchef Haldenwang.

Kalbitz wollte sich nicht öffentlich zu seiner mutmaßlichen Rolle im Spektrum der Neuen Rechten äußern. Höcke erklärte auf Anfrage: «Als Konservativer lebe ich aus dem, was immer galt – oder ich versuche es im Rahmen meiner menschlichen Unzulänglichkeit zu tun. Vor dieses Wertefundament und dieses Lebensgefühl muß kein „neu“.»

Das Bundesschiedsgericht der AfD hatte die Mitgliedschaft von Kalbitz im Sommer 2020 für nichtig erklärt. Ihm wird vorgeworfen, bei seinem Eintritt in die AfD eine frühere Mitgliedschaft in der inzwischen verbotenen rechtsextremen «Heimattreuen Deutschen Jugend» (HDJ) und bei den Republikanern zwischen Ende 1993 und Anfang 1994 nicht angegeben zu haben. Kalbitz bestreitet eine Mitgliedschaft in der HDJ. Versuche, sich juristisch zur Wehr zu setzen, blieben bislang fruchtlos. Das Berliner Landgericht wies im April eine Klage des 49-Jährigen gegen die Bundespartei ab. Sein Anwalt kündigte weitere juristische Schritte an.

Kehrt Kalbitz zurück zur AfD?

In der AfD wird jetzt darüber spekuliert, ob Kalbitz und seine Unterstützer womöglich auf eine günstigere Situation für seine Rückkehr in die Partei unter einem neuen Bundesvorstand hoffen. Der soll Mitte Juni im sächsischen Riesa gewählt werden. Höcke sei das «ideologische Aushängeschild», Kalbitz ein sehr geschickter «autoritärer Strippenzieher», glaubt Hajo Funke.

Dass das Spektrum der sogenannten Neuen Rechten wächst, liegt nach Einschätzung von Experten nicht nur daran, dass es in manchen Kreisen durch die Corona-Proteste inzwischen nicht mehr verpönt ist, das politische System an sich abzulehnen. Das Angebot der wichtigsten Akteure der Szene hat sich auch diversifiziert. Was früher einem kleinen Geschäft für Nischenprodukte ähnelte, entwickelt sich immer mehr zum Vollsortimenter - mit speziellen Netzwerk- und Informationsangeboten, etwa für rechte Landwirte, Naturschützer, Arbeiter oder Geisteswissenschaftler.

Beobachtung durch Verfassungsschutz schadet AfD nicht

Seitdem die AfD in den Parlamenten vertreten ist, bieten sich hier zudem auch berufliche Perspektiven - vor allem als Mitarbeiter von solchen Abgeordneten, die sich von den Ideen aus Schnellroda angezogen fühlen. Ein Gerichtsurteil von Anfang März, das es dem Verfassungsschutz erlaubt, die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall zu beobachten, hat der Partei - blickt man auf Wählerumfragen und Mitgliedzahlen - insgesamt wohl nicht sonderlich geschadet. In jedem Fall nicht mehr als der Weggang von Meuthen oder die innerparteilich umstrittene Positionierung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

© dpa-infocom, dpa:220506-99-177846/2