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Extremismus
Bundesanwaltschaft will zehn Jahre Haft für «Reichsbürger»

Prozess gegen mutmaßlichen «Reichsbürger»
Ein angeklagter, mutmaßlicher Reichsbürger (l) bekommt vor Prozessbeginn die Handschellen abgenommen. Foto: Bernd Weißbrod
Ein Auto wird zur Seite gewunken, dann eskaliert die Situation. Am Steuer soll ein angetrunkener «Reichsbürger» gesessen haben. Er gibt Gas und fährt einen Polizisten an.

Stuttgart. Nach einer Verfolgungsjagd spitzt sich die Lage bei einer Verkehrskontrolle zu: Der mutmaßliche «Reichsbürger» am Steuer gibt Gas und fährt einen Polizisten an. So deutet es die Bundesanwaltschaft, die den Fall an sich zieht und nun im ersten größeren Prozess gegen einen sogenannten Reichsbürger eine harte Strafe fordert. Unter anderem wegen versuchten Mordes plädierte sie am Freitag nach viermonatigen Verhandlungen vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht auf eine Haftstrafe von zehn Jahren gegen den 62-Jährigen. Außerdem solle ihm das Autofahren auf Lebenszeit verboten werden. Der Polizist erlitt bei dem Vorfall vor rund einem Jahr schwere Kopfverletzungen und leidet bis heute an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Der Mann war nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft vor über einem Jahr bei der Kontrolle in Efringen-Kirchen (Kreis Lörrach) absichtlich auf den Polizisten zugefahren. «Er muss ihn gesehen haben und er hätte ausweichen und bremsen können», warfen ihm die beiden Vertreterinnen der Anklagebehörde in ihrem gemeinsamen Plädoyer vor. Die hauptsächlich für Terror-Ermittlungen zuständige Bundesanwaltschaft hatte das Verfahren im Juni wegen der «besonderen Bedeutung des Falles» übernommen.

Die Nebenklage schloss sich weitgehend an und plädierte auf eine Haftstrafe «im zweistelligen Bereich» für den deutschen Angeklagten. Anklage und Nebenklage argumentierten, der 62-Jährige habe seit Jahren keinen Hehl aus seinem Hass auf Polizisten gemacht. In der Tatnacht sei er zwar betrunken gewesen, aber gezielt und beschleunigend auf sein Opfer zugefahren.

Nach dem Zusammenstoß lag der Polizist auf der Motorhaube des Wagens. Aber statt anzuhalten soll der Angeklagte weitergefahren sein und nach etwa zehn Meter so zur Seite gelenkt haben, dass der Polizeihauptkommissar zu Boden stürzte.

Am kommenden Freitag (24. März) folgen die Ausführungen der Verteidigung und voraussichtlich auch das Urteil.

Der angeklagte Schreiner aus Baden ist der erste sogenannte Reichsbürger, der von der Bundesanwaltschaft vor Gericht angeklagt worden ist. «Reichsbürger» und «Selbstverwalter» leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihres Rechtssystems, sie sprechen Politikern und Staatsbediensteten die Legitimation ab und verstoßen immer wieder gegen Gesetze.

In Baden-Württemberg liegt die Zahl der erfassten «Reichsbürger» und «Selbstverwalter» nach Angaben des Landesamts für Verfassungsschutz bei etwa 3800 - Tendenz steigend. Rund zehn Prozent stuft die Behörde als gewaltorientiert ein. Die Szene besteht überwiegend aus Einzelpersonen, die nicht oder nur lose in Organisationen eingebunden sind.

Ein weiterer von ihnen, ein Mann aus Boxberg (Main-Tauber-Kreis), wird vom 5. April an auf der Anklagebank sitzen. Er soll im vergangenen Jahr auf Polizisten geschossen haben. Dem Mann wird mehrfacher versuchter Mord zur Last gelegt. Er hatte der Anklage zufolge zahlreiche Schüsse mit einem Schnellfeuergewehr auf Polizisten abgegeben und zwei Beamte verletzt.

Mitteilung

© dpa-infocom, dpa:230317-99-995660/4