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Soziales
Kinderarmut: Wohlfahrtsverbände warnen vor Teufelskreis

Fast jedes fünfte Kind im Südwesten armutsgefährdet
Ein Kind schneidet während der Freizeitbetreuung Papier aus. Foto: Jens Kalaene
Jedes fünfte Kind in Baden-Württemberg ist armutsgefährdet. Sozialverbände fordern mehr Unterstützung für die Betroffenen. Aus eigener Kraft könnten sie sich aus dem Teufelskreis der Armut nicht befreien.

Stuttgart/Gütersloh. In Baden-Württemberg ist nahezu jedes fünfte Kind und etwa jeder fünfte junge Erwachsene armutsgefährdet. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Donnerstag veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung. Besonders betroffen sind demnach Alleinerziehende sowie Familien mit drei und mehr Kindern. Wer in Armut aufwachse, starte mit schlechteren Chancen ins Leben und könne diese Unterschiede nicht aus eigener Kraft überwinden, betonten die Wohlfahrtsverbände.

Einkommen und Qualifikation der Eltern spielten eine große Rolle für die Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder, sagte Heiner Heizmann von der Liga der freien Wohlfahrtsverbände Baden-Württemberg. «Armutsgefährdung vererbt sich. Daraus entsteht ein Teufelskreis», warnte der Leiter des Kompetenzzentrums Sozialpolitik im Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

So hätten Kinder aus armen Familien beim Schulstart große Nachteile. Die Schulen schafften es nicht, diese auszugleichen. Den betroffenen Familien fehle es an Kompensationsmöglichkeiten. «Sie können beispielsweise keine Nachhilfe finanzieren, wenn 60 Prozent des Lohns auf die Miete entfallen.» So setzten sich die armutsspezifischen Unterschiede im weiteren Bildungsweg fort.

334.800 Kinder (17,6 Prozent) und 183.205 junge Erwachsene (21,1 Prozent) waren der Studie zufolge 2021 in Baden-Württemberg von Armut bedroht. Im bundesweiten Vergleich liegt der Südwesten damit neben Bayern noch am unteren Ende der Skala. Angeführt wird sie von Bremen mit einer Quote von 41,1 Prozent. Deutschlandweit waren knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche (20,8 Prozent) laut Stiftung von Armut bedroht. In der Gruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren waren es 1,55 Millionen (25,5 Prozent).

Als armutsgefährdet gelten Kinder und Jugendliche in Familien mit einem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens in Deutschland. Viele dieser jungen Menschen benötigen staatliche Hilfen, um über die Runden zu kommen.

Heizmann warnte vor den Folgen für die betroffenen Kinder. Sie litten darunter, nicht am Schulausflug oder an der Klassenfahrt teilnehmen, kein Instrument lernen oder keinen Kindergeburtstag feiern zu können. Schon sehr früh setze sich bei mangelnder Teilhabe das Gefühl durch, abgehängt zu sein und keinen Platz in dieser Gesellschaft zu haben. «Daraus folgen häufig Rückzugsmechanismen.»

Die Liga fordert daher die schnelle Einführung der vom Bund angekündigten Kindergrundsicherung. Darin sollen die bisherigen finanziellen Unterstützungsleistungen des Staates für Kinder gebündelt und durch einen Grundbetrag für alle Kinder ab der Geburt ersetzt werden. «Es braucht genug Geld für die betroffenen Familien und Kinder, um armutsspezifische Unterschiede ausgleichen zu können», betonte Heizmann.

Zudem müssten die Schulen armutsfest werden. «Es braucht mehr Unterstützung und Förderung für Kinder aus armen Familien, etwa durch Schulsozialarbeit und eine standardisierte Hausaufgabenbetreuung», erläuterte Heizmann. Schulen in sozialen Brennpunkten müssten besser ausgestattet werden.

Kinderarmut könne erhebliche und lebenslange Auswirkungen auf die Teilhabechancen haben, betonte auch das Sozialministerium. Bis zum Jahr 2030 solle deshalb in jedem Stadt- und Landkreis ein Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut eingerichtet werden. «Dafür stellt das Land in den kommenden Jahren knapp 4 Millionen Euro zur Verfügung», erklärte ein Sprecher. Armutsbekämpfung und -prävention liege im Zuständigkeitsbereich der Kommunen. «Was das Land in dieser Hinsicht unternimmt, ist eine zusätzliche Freiwilligkeitsleistung», erläuterte er.

Darüber hinaus setze sich Sozialminister Manne Lucha (Grüne) schon seit längerem für die Einführung der Kindergrundsicherung ein. Notwendig sei ein vom Kind aus gedachtes Gesamtkonzept. «Kinder sind mehr als ein Teil von Familien oder beispielsweise nicht nur Schülerin oder Schüler.» Bisher bestehende bürokratische Hürden müssten abgebaut sowie kind- und familienbezogenen Leistungen besser miteinander verzahnt werden.

© dpa-infocom, dpa:230126-99-360215/3