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Kitas
«Mehr Beinfreiheit»: Kommunen wollen Landesrecht lockern

Kita
Eine Praktikantin liest in einer Kita Kindern vor. Foto: Sebastian Gollnow
Für Eltern ist es das Wichtigste, ihre Kinder in guten Händen zu wissen. Doch in den Kitas ist so wenig Personal, dass mancherorts früher geschlossen werden soll. Alle Seiten ringen um Lösungen - nun legen die Kommunen einen Vorschlag vor.

Stuttgart. Verkürzte Öffnungszeiten oder Eltern, die einspringen müssen: In der Misere um Zehntausende fehlende Kindergärtnerinnen und Betreuer ringen alle Seiten um Lösungen - nun reißt den Kommunen der Geduldsfaden. Sie machen einen neuen Vorschlag und nennen es Zukunftsparagraf, verbunden mit einer Änderung im Landesrecht. Die Kitas bräuchten «mehr Beinfreiheit», sagt Städtetag-Geschäftsführer Ralf Broß am Donnerstag in Stuttgart. Einigen Eltern dürfte die Idee erstmal Bauchschmerzen bereiten. Zurecht? Und wie konkret sind die Ideen?

Was genau wollen die Kommunen machen?

«Wir müssen an das Thema rangehen, wollen aber nicht nur lamentieren», sagt Broß bei der Vorstellung der Pläne. Alle seien sich einig, dass man vor einem größeren Problem stehe. Der Städtetag will aber ganz bewusst nicht mit einem fertigen Konzept auftreten, sondern quasi nur den Sockel liefern. Ziel ist es, dass die Kitas vor Ort mehr Flexibilität bekommen. So könnte es eine Idee sein, in den Teams mehr auf fachfremde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu setzen, die die Fachkräfte entlasten. Etwa mit Hauswirtschaftskräften oder Helfern, die eine Nachmittagsbetreuung übernehmen. Individuell müsse man dann schauen, welche Möglichkeiten sich jeweils anbieten: seien es andere Betreuungsangebote, veränderte Gruppenstrukturen oder auch neue Öffnungszeiten.

Änderung im Landesgesetz - aber Bundesgesetz bleibt unangetastet

Ermöglichen soll das eine Änderung im Landesrecht, wie Broß erklärt. Die dort geregelten Rahmenbedingungen sollen gelockert werden. Das gebe den Kommunen die Möglichkeit, neue Konzepte zu entwickeln. Die Verantwortlichen betonen aber auch: das Bundesrecht bleibt unangetastet. Das bedeutet auch, dass es weiterhin eine Betriebserlaubnis und die Sicherstellung von Unfallschutz und Kindeswohl braucht.

Einigen Eltern dürfte dennoch nicht ganz wohl bei dem Gedanken sein, dass «fachfremde» Mitarbeiter ihre Kinder betreuen könnten. Es sei rechtlich abgesichert, dass in jeder Einrichtung auch eine Fachkraft sein müsse, betont Broß. Außerdem schlagen die Kommunen vor, die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Fortbildungen zu schulen - und zwar so, dass wenige abspringen, aber die Qualifikation hoch ist.

Schebesta: Vorschlag kann sich nur auf Einzelfälle beziehen

Das Kultusministerium reagierte nicht gerade euphorisch, signalisierte aber durchaus Offenheit und Gesprächsbereitschaft. «Der Vorschlag eines Zukunftsparagrafen des Städtetags enthält interessante Ideen. Wir prüfen deshalb, wie sich das rechtskonform umsetzen lässt», sagte Staatssekretär Volker Schebesta. Klar sei, dass sich das nur auf Einzelfälle beziehen könne. «Da es darum geht, innovative Konzepte auszuprobieren und zu sehen, wie es wirkt und nicht Standards durch die Hintertür abzusenken.» Es sei wichtiger denn je, dass die Kitas ihrem Bildungsauftrag nachkommen können. «Mit den Projekten sollte man neue Ideen ausprobieren können. Angebotsengpässe gehen wir bereits jetzt nachdrücklich an.»

Verdi: «Ein Offenbarungseid für die Landespolitik»

Besonders mit Blick auf den Bildungsauftrag, zeigte sich die Gewerkschaft Verdi alarmiert. Bei den Kommunen sei nur von Wohl, Schutz und Sicherheit der Kinder die Rede - von Bildung dagegen nicht. «Kindertagesstätten ohne frühkindliche Bildung wären ein Offenbarungseid für die Landespolitik», sagte Verdi-Landesbezirksleiter Martin Gross. Außerdem könne man sich «eine weitere Aufweichung der Bedingungen» nicht leisten, wenn man nicht noch weitere Fachkräfte vergraulen wolle, mahnte Verdi.

Broß: Brauchen zeitnah eine Perspektive

Doch das Problem bleibt: Tausende Plätze fehlen, die Kinder wollen betreut werden und erste Kitas haben bereits angekündigt, die Betreuungszeiten zu reduzieren - was die betroffenen Familien vielfach in die Bredouille bringt. Für die Kommunen geht es daher vor allem darum, möglichst bald neue Konzepte zu ermöglichen. Broß sagte, man plane nun, sich sehr bald mit allen Beteiligten an einen Tisch zu setzen. «Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass wir zeitnah eine Perspektive benötigen.» Er rechne noch in diesem Jahr mit ersten Ergebnissen.

© dpa-infocom, dpa:230316-99-977049/3