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Minister Hermann kritisiert «Fahrradmuffel» in den Kommunen

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann. Foto: Sebastian Gollnow/Archiv
Trotz großer Anstrengungen sitzen noch lang nicht so viele Bürger im Fahrradsattel wie das Land das gerne hätte. Verkehrsminister Winfried Hermann gibt vor allem den Kommunen die Schuld.
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) macht für den stockenden Ausbau des Radverkehrs im Land vor allem die Kommunen verantwortlich. Kleinstädte und Dörfer seien weiterhin «Fahrradmuffel» mit dem niedrigsten Anteil am Radverkehr, kritisierte Hermann am Donnerstag in Stuttgart. Aber auch in Großstädten wie Stuttgart habe das Auto in den Köpfen vieler Bezirks- und Gemeinderäte noch Vorrang. «Um jeden Parkplatz wird in Stuttgart nach wie vor gekämpft, als hänge davon das Überleben der Stadt ab.»

Laut der Studie Mobilität in Deutschland stieg der Verkehrsanteil des Fahrrads im Südwesten von 8 Prozent im Jahr 2008 auf nur 10 Prozent im Jahr 2017. «Ein bisschen enttäuscht waren wir schon, weil wir natürlich unglaublich viel gemacht haben», sagte Hermann. «Die zwei Prozent haben uns schon gewurmt.» Der grüne Minister wollte eigentlich eine Verdopplung des Radanteils am Verkehr auf 16 Prozent bis 2020 erreichen. Das werde man wohl nicht mehr schaffen, sagte er. Nun verfolgt er das Ziel, den Radanteil bis 2030 auf 20 Prozent zu erhöhen.

«Wir sind mit dem ambitionierten Ziel gescheitert, aber nicht mit dem ambitionierten Vorgehen», sagte Hermann. Auf der Pressekonferenz am Donnerstag bilanzierte er ein Jahrzehnt der Förderung des Radverkehrs im Land. Die Gründung des Landesbündnisses ProRad im Jahr 2009 sei der Ausgangspunkt der Radverkehrsförderung im Südwesten gewesen. Ab 2011 habe man dann eine systematische Radpolitik entwickelt.

Man habe in zehn Jahren viel erreicht, sagte Hermann. Vor zehn Jahren sei Baden-Württemberg Schlusslicht gewesen, heute sei das Land ein Vorbild. Ein Umdenken habe stattgefunden. «Wir sind auf dem bestem Weg, ein fahrradfreundliches Land zu werden, wir werden zumindest jedes Jahr fahrradfreundlicher.» Es gebe einen breiten Konsens, dass das Rad eine größere Rolle spielen kann als es heute spielt. Man müsse zu mehr umweltverträglichem Verkehr kommen und weg von der «autofixierten und fossilgetriebenen Mobilität».

Mit dem Förderprogramm für kommunale Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur unterstütze man 400 Maßnahmen mit 100 Millionen Euro über mehrere Jahre. Allein in diesem Jahr würden außerdem an Landesstraßen 36 neue Radwege mit einer Länge von 56 Kilometern und Kosten in Höhe von 27 Millionen Euro gebaut oder neu begonnen. An Bundesstraßen seien es 28 Vorhaben mit 37 Kilometern und 21 Millionen Euro Kosten.

Dabei fährt Baden-Württemberg bei der Radinfrastruktur noch so manchem Land hinterher. In der Mobilitätsstudie 2017 lag der Südwesten mit 10 Prozent Radanteil im Mittelfeld und hinter anderen Flächenländern wie Niedersachsen (15 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (14 Prozent) oder Schleswig-Holstein (13 Prozent).

Radverkehrsförderung brauche seine Zeit, sagte Hermann. Wenn eine Kommune sich in breitem Konsens für eine Förderung entscheide, gehe es auch voran. So habe der Gemeinderat in Karlsruhe den Radanteil in den vergangenen 10, 12 Jahren von etwa 16 auf 25 Prozent gesteigert. In Stuttgart sei in der gleichen Zeit nicht viel passiert.

Die Kommunen wehren sich gegen die Kritik. «Es nützt nichts, wenn wir uns immer wieder vermeintliche Sündenböcke herausgreifen - ob es um Fahrradbesitzer oder Dieselfahrer geht», sagte der Präsident des Gemeindetags, Roger Kehle, der Deutschen Presse-Agentur. «Wenn unsere Bürgermeister als Fahrradmuffel bezeichnet werden, bezeichne ich den Verkehrsminister als Konzeptmuffel.» Kehle forderte ein Gesamtkonzept für alle Verkehrsteilnehmer und nicht ein «Herumdoktern an einzelnen Symptomen».

Die Fahrradfahrer im Land stellen sich auf die Seite des Ministers. Der politische Wille in den Kommunen sei das allergrößte Problem, sagt Gudrun Zühlke, die Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Städte und Landkreis seien für den Bau und Unterhalt von 80 Prozent der Radwege verantwortlich. Nicht nur der Wille fehle - viele Kommunen hätten zu wenig geschulte Mitarbeiter, um Fördergelder abzurufen.

Neben dem Verkehrsministerium müssten auch die anderen Ressorts der Landesregierung ihren Teil zur Radförderung beitragen, forderte Zühlke. So müsse der Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) die Regelung im Landeswaldgesetz abschaffen, nach der Waldwege, die schmäler als zwei Meter sind, nicht mit dem Rad befahren werden dürfen. Zühlke kritisierte auch die geplanten Neuregelungen in der Landesbauordnung, die die Zahl der erforderlichen Abstellplätze für Fahrräder ins Ermessen der Kommunen und Bauträger stellen soll.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) forderte mehr Anstrengungen des Landes und der Kommunen. «Für eine erfolgreiche Verkehrswende muss die Dominanz des Autos gestoppt werden, seine Privilegien müssen beseitigt, die Straßenräume und Parkplätze müssen zu Lasten des Autoverkehrs fahrradfreundlich umgestaltet und so deutlich mehr Platz für den Radverkehr geschaffen werden», teilte die Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender mit.

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