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Deutlicher Wahlsieg gegen Hunt
100 Tage vor dem Brexit: Boris Johnson wird neuer Premier

Daumen hoch
Boris Johnson kommt mit erhobenen Daumen am Hauptsitz der Konservativen Partei an. Foto: Aaron Chown/PA Wire
Johnson neuer Premierminister
Jeremy Hunt, Außenminister von Großbritannien, gratuliert Boris Johnson nachdem er zum neuen Parteichef und zum nächsten Premierminister ernannt wurde. Foto: Stefan Rousseau/PA Wire
Boris Johnson
Kandidat um das Rennen des Parteichefs der Konservativen Partei: Boris Johnson. Foto: Kirsty O'connor/PA Wire
Boris Johnson
Vollmundig wie immer: Boris Johnson. Foto: Yui Mok/PA Foto: dpanitf3
Brexit
Lastwagen auf der A526 außerhalb von Dover: Die britische Regierung testete schon vor Monaten jede Möglichkeit, das Brexit-Chaos zu begrenzen. Foto: Gareth Fuller/PA Wire Foto: dpanitf3
Hafen von Dover
Im Hafen von Dover droht bei einem ungeregelten Brexit das blanke Chaos. Foto: Gareth Fuller/PA Wire
Irland-Nordirland-Grenze
Ein Schild gegen den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU an der Grenze zwischen Irland und Nordirland. Foto: Mariusz Smiejek
Meerenge von Dover
Die Straße von Dover aus der Satellitenperspektive: Nur 32 Kilometer trennen die britische Insel (l.) vom europäischen Festland. Foto: NASA/GSFC/MITI/ERSDAC/JAROS
Brexit
Fähren im Ärmelkanal: Die britische Regierung hat Verträge mit Reedereien abgeschlossen, um mögliche Engpässe nach dem Brexit mithilfe von gecharterten Fähren abzufedern. Foto: Gareth Fuller/PA Wire
Stormtrooper
Menschen, die als Stormtrooper von Star Wars verkleidet sind, werben vor dem Londoner Büro von Boris Johnson für Darth Vader als neuen britischen Premier. Foto: Kirsty O'connor/PA Wire
Brexit-Kampagne
Postfaktische Brexit-Kampagne: Auf diesem Bus wurde eine völlig übertriebene Summe genannt, die die Briten angeblich an die EU zahlen - gleich nach dem Erfolg im Referendum gaben die Initiatoren zu, dass die Zahlen falsch waren. Foto: str Foto: dpanitf3
Britische Grenze
Noch ist das Reisen einfach: Grenzbeamte am Londoner Flughafen Heathrow unter einem Grenzschild. Foto: Andrew Cowie
Johnson
Boris Johnson hat das Rennen um die Nachfolge von Premierministerin May für sich entschieden. Foto: Frank Augstein/AP
Der nächste britische Premierminister heißt Boris Johnson. Der ehemalige Brexit-Wortführer hat einen harten Kurs in Sachen EU-Austritt eingeschlagen. Einen No Deal will er in Kauf nehmen.

London (dpa) - Nach seinem haushohen Sieg will der künftige britische Premierminister Boris Johnson seine umstrittenen Brexit-Pläne durchboxen und zugleich die tiefe Spaltung des Landes überwinden.

Die Ziele seien nun, den EU-Austritt zu vollziehen, das Land zu vereinen und Oppositionschef Jeremy Corbyn zu besiegen, sagte der neue Chef der britischen Konservativen nach seiner Wahl in London - genau 100 Tage vor dem geplanten Brexit. Er wolle den Wunsch nach Freundschaft mit Europa und die Sehnsucht nach demokratischer Selbstbestimmung vereinen.

Brexit-Hardliner Johnson hatte sich in der Abstimmung innerhalb der konservativen Tory-Partei deutlich mit 66,4 Prozent der Stimmen gegen Außenminister Jeremy Hunt durchgesetzt. Am Mittwoch übernimmt der Parteichef dann das Amt des Premierministers von Theresa May.

Doch schon kurz nach Johnsons Wahl wurde erneut deutlich, dass seine Brexit-Pläne unvereinbar mit der Europäischen Union sind. Auch von der Labour-Opposition bekam er heftigen Gegenwind. Die deutsche Wirtschaft warnte vor den Folgen eines ungeordneten Austritts.

Viel Lob bekam Johnson hingegen von US-Präsident Donald Trump, der lukrative Geschäfte mit Großbritannien wittert: «Glückwunsch an Boris Johnson, dass er neuer Premierminister des Vereinigten Königreichs geworden ist», schrieb Trump auf Twitter. «Er wird großartig sein!». Auch die AfD-Bundestagsfraktion gratulierte Johnson zu seiner Wahl. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ Johnson ausrichten: «Unsere Länder soll auch in Zukunft eine enge Freundschaft verbinden.»

May hatte sich für einen Rücktritt entschieden, nachdem sie drei Mal mit ihrem mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal im Parlament durchgefallen war. Sie sicherte Johnson, der zu ihren größten Rivalen zählt, Hilfe zu: «Sie haben meine volle Unterstützung von den Hinterbänken.»

Johnson will das Abkommen über den EU-Austritt seines Landes mit Brüssel neu verhandeln. Die Europäische Union lehnt aber jegliche Änderung an dem Deal ab. Johnson will daher notfalls am 31. Oktober ohne Austrittsvertrag ausscheiden. Das dürfte erhebliche negative Folgen für die Wirtschaft und viele weitere Lebensbereiche haben.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ließ ausrichten, er wolle «so gut wie möglich» mit Johnson zusammenarbeiten. Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier schrieb auf Twitter: «Wir freuen uns darauf, mit Boris Johnson nach seiner Amtsübernahme konstruktiv zusammenzuarbeiten, um die Ratifizierung des Austrittsabkommens zu erleichtern und um einen geregelten Brexit zu gewährleisten.» Änderungen sind nach Barniers Worten lediglich an der politischen Erklärung zu den künftigen Beziehungen möglich.

Johnson, der es mit der Wahrheit oft nicht genau nimmt, dürfte viele Regierungsposten neu besetzen. Zeitungen spekulierten etwa über ein Comeback der früheren Brexit-Minister Dominic Raab und David Davis. Am vergangenen Wochenende hatten Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke die Aufgabe ihrer Ämter im Falle eines Sieg Johnsons angekündigt. Mit weiteren Rücktritten wird gerechnet.

Oppositionschef Corbyn forderte nach der Abstimmung umgehend eine Neuwahl. Johnson sei von weniger als 100.000 Parteimitgliedern der Konservativen unterstützt worden und habe nicht das Land hinter sich gebracht, schrieb der Labour-Politiker auf Twitter. Ein EU-Austritt ohne Abkommen, den Johnson nicht ausschließt, bringe Jobverluste und steigende Preise. «Die Bevölkerung unseres Landes sollte in einer Parlamentswahl entscheiden, wer Premierminister wird», forderte er.

Die etwa 160.000 Parteimitglieder - das sind dem «Independent» zufolge 0,34 Prozent aller Wahlberechtigten - hatten mehrere Wochen Zeit, um sich zwischen Johnson und Hunt per Briefwahl zu entscheiden.

Johnson kündigte bereits an, die vereinbarte Schlussrechnung für den EU-Ausstieg in Höhe von 39 Milliarden Pfund (rund 44 Milliarden Euro) vorerst zurückzuhalten. Eine deutliche Senkung der Einkommenssteuer für gut verdienende Briten stellte er ebenfalls in Aussicht.

Deutsche Ökonomen erwarten von Johnson mehr Unberechenbarkeit in den Wirtschaftsbeziehungen. «Die erhöhte Unsicherheit ist Gift für die britische und letztlich auch für die europäische Wirtschaft», sagte etwa Isabel Schnabel von der Uni Bonn dem «Handelsblatt».

Viele Tory-Abgeordnete trauen Johnson zu, enttäuschte Brexit-Wähler, die sich von den Konservativen abgewendet haben, wieder zurückzugewinnen. Der einst auch unter liberalen Wählern populäre Ex-Bürgermeister von London ist für seinen Wortwitz, aber auch für seine Tollpatschigkeit und teilweise Ignoranz bekannt.

Seine Zeit als Außenminister ist in keiner guten Erinnerung geblieben. Wohl deshalb erwähnte er sie während des Wahlkampfs kaum. Johnson, der dafür bekannt ist, über die eigenen Füße zu stolpern, hielt sich im gesamten Auswahlverfahren stark zurück.

Sein Erscheinungsbild hatte sich in den vergangenen Wochen auffallend geändert. Statt verwuschelter, blonder Haarmähne ließ Johnson sich einen richtigen Haarschnitt verpassen. Außerdem nahm er deutlich ab. Johnson lebt seit Monaten von seiner Frau getrennt und ist mit einer über 20 Jahre jüngeren Medienexpertin liiert.

Johnson war der Frontmann der konservativen Brexit-Befürworter im Wahlkampf vor dem Referendum vor drei Jahren. Auch damals provozierte er: So verglich er die Ambitionen der EU mit dem Großmachtstreben Hitlers und Napoleons. Den Briten versprach er, im Falle eines Brexits 350 Millionen Pfund (rund 390 Millionen Euro) an EU-Beiträgen pro Woche in das Gesundheitssystem zu stecken. Er verschwieg jedoch, dass London auch viel Geld von der EU bekommt.

Am Mittwoch gibt May ihr Amt ab. Sie wird sich mittags ein letztes Mal den Fragen der Abgeordneten im Unterhaus stellen. Anschließend hält sie vor dem Regierungssitz Downing Street eine Abschiedsrede und reicht dann bei der 93-jährigen Queen im Buckingham-Palast ihren Rücktritt ein. Die Königin wird direkt danach Johnson zum neuen Premier ernennen und ihn mit der Regierungsbildung beauftragen. Auch von ihm wird dann eine Rede vor seinem Amtssitz erwartet.

Die Briten hatten im Juni 2016 nur mit knapper Mehrheit für eine Loslösung von der Europäischen Union gestimmt. Das Parlament ist heillos zerstritten. Größter Streitpunkt ist der Backstop - eine im Austrittsabkommen festgeschriebene Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland.

Die Regelung sieht vor, dass Großbritannien in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Brexit-Hardliner befürchten, dies könnte das Land dauerhaft an die Staatengemeinschaft fesseln und eine eigenständige Handelspolitik Großbritanniens unterbinden.

Viel Zeit für den Brexit am 31. Oktober bleibt Johnson nicht. Das Parlament geht am Freitag in eine fast sechswöchige Sommerpause. Erst am 3. September kommen die Abgeordneten wieder zusammen.

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