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Kriminalität
124 Taten - Anklage im Missbrauchsfall Wermelskirchen

Missbrauch von Kindern
Eine Justizbeamtin zeichnet die Aussage eines Missbrauchsopfers in einem Childhood-Haus auf. (Symbolbild) Foto: Jan Woitas
Jahrelang soll sich ein heute 45-Jähriger als Babysitter angeboten und Kinder sexuell missbraucht haben. Die Anklage macht das Ausmaß des Komplexes deutlich, der selbst erfahrene Ermittler schockierte.

Köln/Wermelskirchen. Im Tatkomplex Wermelskirchen ist Anklage gegen den Hauptverdächtigen wegen sexueller Gewalt gegen Kinder erhoben worden. Dem heute 45-Jährigen werden insgesamt 124 Taten vorgeworfen, in 99 Fällen geht es um den sexuellen Missbrauch von Kindern, wie ein Sprecher des Landgerichts Köln am Freitag mitteilte. Zuvor hatte «Der Spiegel» darüber berichtet.

Die Taten sollen zwischen März 2005 und September 2019 begangen worden sein. Der Mann soll sich als Babysitter angeboten und etwa über Online-Plattformen Kontakt zu den Familien der Opfer bekommen haben.

Landgericht: «schwere Fälle»

Insgesamt ist von 23 direkten oder indirekten Opfern die Rede: Laut Gericht soll der Mann an 13 Kindern - «mehr Jungen als Mädchen» - im Alter von 11 Monaten bis 13 Jahren selbst Taten begangen haben. Dazu kommen drei Fälle von Taten gegen 14-jährige Jungen, die somit als Jugendliche und nicht mehr als Kinder gelten. Bei sieben Opfern im Kindesalter soll er sich Beihilfe- und Anstiftungstaten schuldig gemacht haben.

89 der 99 Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern gelten laut Landgericht als «schwere Fälle», weil es zu «beischlafähnlichen Handlungen» gekommen sei. In neun dieser Fälle soll der Mann sogenannte kinderpornografische Aufnahmen gemacht haben.

In 15 Fällen geht es um Vorwürfe der Beihilfe zu «erheblichen Missbrauchstaten anderer Personen». Die zehn weiteren Fälle betreffen kinderpornografische Schriften oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, bei denen die Opfer jugendlich waren.

«Er wird ein umfassendes Geständnis ablegen, auch in der Hauptverhandlung», sagte Christian Lange, der Anwalt des 45-Jährigen. Dieser hatte sich den Ermittlern gegenüber bisher kooperativ und geständig gezeigt. Lange sagte, sein Mandant wolle helfen, so viel wie möglich aufzuklären. Es werde in dem Prozess keine große Streiterei um einzelne Fälle geben, kündigte er an. Der Prozess soll laut dem Sprecher des Landgerichts wohl noch im Dezember beginnen.

Spezialkräfte hatten den Mann im vergangenen Dezember festgenommen, nachdem man im November durch Ermittlungen gegen einen seiner Chat-Partner auf ihn aufmerksam geworden war. Er soll mit Dutzenden weiteren Männern kinderpornografische Bilder und Videos ausgetauscht haben. Mittlerweile wird gegen mehr als 80 Beschuldigte ermittelt.

Millionen Bilder und Videos

Bei dem Wermelskirchener fanden Ermittler gewaltige Mengen Missbrauchsdarstellungen - 3,5 Millionen Bilder und 1,5 Millionen Videos. Allein die Sicherung der auf 232 Datenträgern befindlichen Dateien dauerte 17 Tage. Sein Kinderpornografie-Archiv soll er in Listen unterteilt haben - wohl um nicht den Überblick zu verlieren.

Der nun Angeklagte soll außerdem mit einem der Täter aus dem Missbrauchskomplex in Münster in Kontakt gestanden, ihm über einen Video-Chat beim Missbrauch zugesehen und Anweisungen gegeben haben.

Über das Ausmaß und die Brutalität der Fälle zeigten sich selbst erfahrene Ermittler schockiert. Ein solches Ausmaß an menschenverachtender Brutalität und gefühlloser Gleichgültigkeit gegenüber kleinen Kindern, ihren Schmerzen und ihren Schreien sei ihm noch nicht begegnet, sagte Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel im Mai. Oberstaatsanwalt Joachim Roth sagte, das, was er gesehen habe, habe ihn bis ins Mark erschüttert.

© dpa-infocom, dpa:221014-99-127352/4