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Angst vor «zweitem Ischgl»
Après-Ski - aber bitte im Sitzen

Après-Ski-Hütte in Ischgl
In Österreich soll es in dieser Ski-Saison kein Après-Ski geben. Foto: Jakob Gruber/APA/dpa
«Schifoan» heißt eine Après-Ski-Hymne der österreichischen Alpen. Um das Skifahren trotz Corona-Krise zu retten, soll die Hütten-Gaudi in diesem Winter ausfallen. Die Angst vor dem «zweiten Ischgl» sitzt tief.

Wien (dpa) - Österreich will dem Après-Ski in der bisherigen Form in diesem Winter einen Riegel vorschieben. Damit soll verhindert werden, dass es zu Massenansteckungen mit dem Coronavirus kommt, für die der Tiroler Skiort Ischgl im März weltweit traurige Berühmtheit erlangte.

Gedrängtes Stehen soll es in Bars und auf Terrassen nicht mehr geben, Essen und Getränke dürfen nur noch im Sitzen konsumiert werden. «Ski-Vergnügen ja, aber ohne Après-Ski», sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Vorstellung der Maßnahmen für den Wintertourismus.

Neben dem Verbot des Ausschanks für stehende Gäste, das schon seit einigen Wochen für alle Bars gilt, halten sich die offiziellen Vorschriften aber bislang in Grenzen. Beim Anstehen für Seilbahnen gilt ein Meter Abstand und Maskenpflicht, auch in Gondeln muss Mund-Nasen-Schutz getragen werden, sagte Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP). Skischulen wird empfohlen, höchstens zehn Schüler pro Gruppe zu unterrichten und die Gruppen nicht zu mischen.

Außerdem sollen auch Skilehrer und Reiseleiter kostenfrei auf das Virus getestet werden können, wie seit dem Sommer bereits Hotelmitarbeiter. Die Strategie soll den Wintertourismus retten, der gerade für den Westen Österreichs überlebenswichtig ist. In der Wintersaison 2018/2019 zählte Österreich 73 Millionen Übernachtungen und einen Umsatz von 15 Milliarden EuRo, rechnete Köstinger vor. Die jüngste Saison wurde im März durch die Pandemie jäh beendet.

Von den vielen Skigebieten stand damals vor allem der Tiroler Tourismus und dort vor allem der Ort Ischgl im Mittelpunkt - 10.000 Gästebetten auf rund 1600 Einwohner und bekannt für die ausgelassene Party-Szene, in der der Betriebsschluss der Lifte auf engstem Raum mit viel Schnaps und Schlagern zum Mitgrölen gefeiert wird. Ideale Umstände für Massenansteckungen mit dem neuartigen Coronavirus, die unbemerkt wohl schon im Februar abgelaufen sein könnten.

Touristen schleppten das Virus ahnungslos in verschiedenste Länder oder erkrankten selbst. Verbraucherschützer, die am Mittwoch erste Schadenersatz-Klagen deshalb gegen die österreichischen Behörden einbrachten, berichten von Zuschriften von mehr als 6000 Menschen, die sich in Ischgl angesteckt zu haben meinen. Von den Einwohnern des Orts hatte laut einer Innsbrucker Studie am Ende rund jeder Dritte Antikörper, also zumindest Kontakt mit dem Erreger.

«Das ist nicht auf der Piste geschehen, sondern in der damaligen Kultur des Après-Ski ein Thema gewesen», betonte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zu dem damaligen Corona-Ausbruch. Tirols Landeschef Günther Platter begrüßte die Regeln und sagte, Après-Ski mache nur 3 Prozent der Wertschöpfung im Wintertourismus seines Bundeslands aus, 97 Prozent stamme etwa aus Skifahren und der Kulinarik. «Es kann nicht sein, dass drei Prozent den Rest gefährden», sagte er.

«Wir kämpfen mit diesem Konzept um jedem Job,» sagte auch der Präsident der österreichischen Wirtschaftskammer, Harald Mahrer. 675.000 Vollzeitjobs hingen in Österreich direkt am Tourismus oder indirekt in einer davon abhängigen Branche.

Auch die Wintersportgebiete selbst reagieren ihrerseits auf die existenzielle Bedrohung eines «zweiten Ischgl», das sich mittlerweile als geflügeltes Wort durchgesetzt hat, etwa mit längeren Liftöffnungszeiten und mehr Parkplätzen und Skibussen. Auch Ischgl selbst will laut Verantwortlichen über die behördlichen Vorgaben hinausgehen: Mitarbeiter sollen noch vor Saisonstart getestet werden. Gästen werde empfohlen, beim Einchecken einen negativen Corona-Test vorzuweisen oder sich freiwillig am Ort testen zu lassen.

© dpa-infocom, dpa:200924-99-690440/4