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Weitere Proteste
Bulgariens Regierung übersteht Misstrauensvotum

Proteste in Bulgarien
Demonstranten protestieren am 15. Juli gegen die Regierung. Foto: Valentina Petrova/AP/dpa
Ministerpräsident Boiko Borissow gewinnt ein Misstrauensvotum nach Korruptionsvorwürfen. Demonstranten fordern dennoch hartnäckig seinen Rücktritt.

Sofia (dpa) - Weiß-grün-rote Nationalfahnen, Musik, Sprechchöre und Pfiffe: Bulgarische Demonstranten unterstützten damit am Parlament ein Misstrauensvotum gegen die Regierung von Ministerpräsident Boiko Borissow.

Doch das bürgerlich-nationalistische Koalitionskabinett überstand das Votum locker, das die oppositionellen Sozialisten (BSP) beantragt hatten. Sie warfen der Regierung vor, bei der Korruptionsbekämpfung gescheitert und selbst korrupt zu sein.

Demonstranten fordern seit fast zwei Wochen mit derselben Begründung den Rücktritt der Regierung. Sie befürchteten, dass das Misstrauensvotum scheitern würde, resignierten aber nicht. «Dies hat nichts gemeinsam mit unserem Misstrauensvotum, das erfolgreich sein wird», sagte eine Demonstrantin am Parlament. Die Proteste sollen bis zum Rücktritt der Regierung und des Generalstaatsanwalts weitergehen.

Vizeregierungschef Tomislaw Dontschew war nach der Abstimmung sichtbar erleichtert: «Das Votum ist gescheitert (...), weil dies die politische Logik ist», sagte er. Es gebe «kein Motiv, keinen Sinn und Nutzen» einer um zwei Monate vorgezogenen Parlamentswahl. Zudem habe diese Regierung zu Corona-Zeiten noch viel zu tun - unter anderem wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie.

Noch vor dem Brüsseler EU-Sondergipfel hatte Borissow eine umfassende Umbildung seiner seit Mai 2017 regierenden Koalition in Aussicht gestellt. Doch erstmal muss der Koalitionsrat darüber beraten. Vor Borissows Rückkehr aus Brüssel bestätigte Vizeregierungschef Dontschew: «Veränderungen wird es mit Sicherheit geben.»

Einen Vorgeschmack auf die weitere Entwicklung auf Bulgariens Straßen gab es kurz nach dem Misstrauensvotum: «Rücktritt» und «Mafia» riefen die Demonstranten weiter. Jetzt aber am Regierungssitz, wo sie sich vom Parlament hin verlagerten.

Schnelle Neuwahlen sind eine zentrale Streitfrage zwischen der Regierung und den Demonstranten. Das Regierungslager beharrt darauf, dass eine vorgezogene Parlamentswahl erst im Dezember organisiert werden könne. Die Protestierenden fordern, dass diese so bald wie möglich stattfinden soll. Der Soziologe Zwetosar Tomow, ein früheres Mitglied der Zentralen Wahlkommission in Sofia, schrieb auf Facebook: «Wahlen kann es Anfang, spätestens Mitte Oktober geben.» Die letzte Parlamentswahl war am 26. März 2017.

Die Demonstranten wollen offensichtlich keine Zeit verlieren, um ihre Forderungen aufs neue zu bekunden. Ein Teil der Protestteilnehmer zog zum Regierungsflughafen in Sofia, wo Regierungschef Borissow aus Brüssel erwartet wurde. «Lasst uns Borissow am Flughafen bis zum Rücktritt blockieren», laute das Motto dieser Aktion, berichtete das Staatsradio in Sofia. Die Protestierenden kamen etwa 45 Minuten zu spät zum Regierungsterminal und verpassten Borissows Ankunft, wie die Online-Ausgabe der Zeitung «24 Tschassa» erfuhr. Die Aktion passt aber zum neuen Leitfaden der Proteste: «ziviler Ungehorsam».

© dpa-infocom, dpa:200721-99-865447/4