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Nach Tod eines Sängers
Ethnische Spannungen in Äthiopien: 166 Tote bei Protesten

Auslöser der Proteste
Das Videostandbild zeigt die Beerdigung des Sängers Hachalu Hundessa. Foto: -/OBN/AP/dpa
Eigentlich will sich Äthiopien als Regionalmacht aufstellen. Doch im Inland brodeln ethnische Spannungen. Der als Reformer und Friedensstifter gefeierte Regierungschef Abiy Ahmed muss seinen Ruf verteidigen - zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.

Addis Abeba (dpa) - Bei blutigen Protesten in dem von ethnischen Spannungen gebeutelten Äthiopien sind Behörden zufolge insgesamt mindestens 166 Menschen getötet worden.

Seit Beginn der Demonstrationen am Dienstag nach dem Tod des prominenten Sängers Hachalu Hundessa seien in der Region Oromia mindestens 156 Menschen getötet worden, darunter elf Polizisten, sagte Girma Gelan, der stellvertretende Polizeichef für Oromia, am Samstagabend im staatlichen Fernsehen. Zudem kamen nach vorherigen Behördenangaben zehn Menschen in Addis Abeba ums Leben, darunter zwei Polizisten.

Hachalu, der für seine politischen Lieder bekannt ist und von vielen Oromos als Verfechter der Bevölkerungsgruppe angesehen wird, wurde am Montag erschossen. Der Hintergrund der Tat war bislang unklar. Daraufhin gab es Proteste in Addis Abeba und Oromia und Zusammenstöße mit Sicherheitskräften. Rund 2300 Menschen wurden nach Polizeiangaben in der Hauptstadt und Oromia festgenommen. Darunter ist auch Jawar Mohammed, ein prominenter Aktivist und Regierungskritiker, wie sein Sender OMN bestätigte.

Die Vorfälle seien koordinierte Versuche gewesen, Unruhen im Land zu stiften, sagte Regierungschef Abiy Ahmed. Menschenrechtler aber kritisierten die Sicherheitskräfte für ihren Umgang mit den Protesten: «Die Reaktion der Regierung auf die Demonstranten droht, die seit langem schwellenden Spannungen zu verschärfen», teilte Human Rights Watch mit. Auch das Auswärtige Amt zeigte sich «besorgt und erschrocken» über die Vorfälle und forderte «alle Beteiligten zu Gewaltfreiheit und zu Dialog» auf, wie ein Sprecher mitteilte.

Am Wochenende war die Lage in Oromia Berichten zufolge weiter angespannt, etliche Läden blieben geschlossen. In der Hauptstadt hatte sich die Lage bis zum Sonntag wieder entspannt, wie ein dpa-Reporter berichtete. Allerdings blieb das in Teilen Äthiopiens abgeschaltete Internet weiter aus.

Die Oromo - die größte ethnische Gruppe in dem Vielvölkerstaat - fühlten sich jahrelang von Äthiopiens autoritärer Regierung vernachlässigt. Andauernde Proteste führten schließlich 2018 zum Rücktritt des Regierungschefs und dem Amtsantritt seines Nachfolgers Abiy. Dieser wird als Reformer gesehen und erhielt unter anderem wegen seiner Befriedungsbemühungen am Horn von Afrika den Friedensnobelpreis. Allerdings sind während seiner Amtszeit ethnische Spannungen und Konflikte wieder angestiegen.

Die Unruhen in Äthiopien sind auch heikel, weil sich das Land derzeit in einem Streit mit Ägypten und dem Sudan über den GERD-Staudamm befindet. Der künftig größte Staudamm Afrikas wird von Äthiopien auf dem Blauen Nil erbaut und soll das Land mit Strom versorgen, allerdings sorgt sich das flussabwärts gelegene Ägypten um seine Wasserversorgung. Addis Abeba will noch im Juli beginnen, den Stausee zu füllen - mit oder ohne Einigung mit den Regionalnachbarn. Die Afrikanische Union (AU) versucht zwischen den Ländern zu vermitteln; zudem hat Ägypten den UN-Sicherheitsrat eingeschaltet.

© dpa-infocom, dpa:200705-99-680070/4

Mitteilung HRW

Mitteilung Auswärtiges Amt