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Nervengift-Attacke
Fall Skripal: Heftige Vorwürfe zwischen London und Moskau

Bei der ersten direkten Konfrontation zwischen Großbritannien und Russland nach dem Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Skripal kommt es zu einem heftigen Schlagabtausch. Ein Vorschlag Moskaus zu gemeinsamen Ermittlungen wird abgelehnt.

Den Haag (dpa) - Nach dem Giftanschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter wird es vorerst keine gemeinsamen Ermittlungen Großbritanniens mit Russland geben.

Die erste direkte Konfrontation der beiden Länder seit dem Vorfall endete bei einer Sondersitzung des Exekutivrats der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) am Mittwoch in Den Haag mit heftigen gegenseitigen Vorwürfen. In New York forderte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats.

London beharrte bei der OPCW-Sitzung darauf, dass Moskau hinter der Attacke stecke. Die britische Regierung bezeichnete den russischen Vorschlag, gemeinsam zu ermitteln, als «pervers».

Ein Vorschlag Moskaus zu einer unabhängigen Untersuchung mit Beteiligung Russlands wurde bei der OPCW-Sitzung mehrheitlich abgelehnt, wie der russische Vertreter bei der Organisation, Alexander Schulgin, am Abend in Den Haag mitteilte. Russland hatte das Ansinnen gemeinsam mit China und dem Iran vorgebracht. Die Ermittlungen Großbritanniens und der OPCW-Experten seien nicht transparent, sagte Schulgin zur Begründung.

Der frühere russische Doppelagent Skripal war am 4. März gemeinsam mit seiner Tochter Julia im südenglischen Salisbury vergiftet worden. Der 66-Jährige befindet sich in einem kritischen Zustand, seiner 33 Jahre alten Tochter geht es besser. Nach Erkenntnissen britischer Forscher wurde bei dem Attentat das Nervengift Nowitschok verwendet, das einst in der Sowjetunion entwickelt wurde.

Russland will den Giftanschlag zum Thema im UN-Sicherheitsrat machen. Dem Antrag von Russlands UN-Botschafter Nebensja zufolge soll die Dringlichkeitssitzung bereits am (morgigen) Donnerstag in New York stattfinden. Sofern es zu dem Treffen kommt, ist eine direkte Konfrontation Nebensjas mit Großbritanniens UN-Botschafterin Karen Pierce wahrscheinlich.

In Den Haag wies Russland erneut die Vorhaltungen Großbritanniens als haltlos zurück. Das Land habe längst alle Bestände seiner C-Waffen vernichtet. Moskau habe großes Interesse daran, dass der Vorfall aufgeklärt werde. «Wir haben Grund zur Annahme, dass es sich um einen terroristischen Anschlag handelte», sagte der Botschafter.

Zuvor hatte Russland die Vorwürfe Großbritanniens als inszeniert bezeichnet. Es handele sich um eine «groteske Provokation, grob fabriziert von den britischen und amerikanischen Geheimdiensten», sagte der Chef des russischen Auslandsgeheimdienst SWR, Sergej Naryschkin, in Moskau.

Die EU-Staaten wiesen die Vorhaltungen Russlands als total inakzeptabel zurück, sagte der bulgarische Botschafter bei der OPCW, Krassimir Kostow, in einer Stellungnahme für die Union. Bulgarien übt derzeit die EU-Ratspräsidentschaft aus.

Die OPCW erwartet in der kommenden Woche die Ergebnisse der Laboruntersuchungen. Sie werde den Bericht dann an Großbritannien übergeben, teilte die Organisation bei der Sondersitzung ihres Exekutivrates mit, die Russland beantragt hatte. OPCW-Experten hatten Proben im britischen Salisbury entnommen sowie auch Blutproben der Opfer bekommen. Diese werden in internationalen Labors analysiert.

Großbritannien erneuerte in Den Haag seine Anschuldigungen gegen Russland. Es sei höchstwahrscheinlich, dass der russische Staat für den Anschlag verantwortlich sei, erklärte der britische Vertreter bei der Sondersitzung. Großbritannien habe das eingesetzte Nervengift als den Stoff identifiziert, der von Russland schon früher produziert worden sei. Außerdem sei Russland bereits in der Vergangenheit für Attentate verantwortlich gewesen.

Der Diplomat John Foggo warf Moskau zugleich vor, nicht mit den britischen Behörden zusammen zu arbeiten. «Russland hat auf keine der Fragen geantwortet und stattdessen mehr als 24 widersprüchliche und wechselnde Gegengeschichten produziert», sagte er.

Kurz vor der mit Spannung erwarteten Sitzung des OPCW-Exekutivrates hatte der russische Präsident Wladimir Putin noch die Hoffnung auf eine schnelle Lösung geäußert. Am Mittwoch betonte er bei einem Besuch in Ankara, man wolle nicht auf eine Entschuldigung Londons warten. «Wir wollen, dass der gesunde Menschenverstand am Ende triumphiert und die internationalen Beziehungen keinen Schaden nehmen.» 

In Moskau warnte der russische Auslandsgeheimdienst SWR den Westen vor einer Rückkehr in den Kalten Krieg. «Aus Furcht vor Veränderungen ist der Westen bereit, um sich herum einen neuen Eisernen Vorhang zu errichten», sagte SWR-Chef Naryschkin.

Nach Angaben russischer Diplomaten wollten 14 Mitglieder des OPCW-Rates Moskaus Position unterstützen. Dem Exekutivrat gehören Diplomaten aus 41 Staaten an, darunter aus Großbritannien, Russland, den USA und auch Deutschland.

Der Streit zwischen Moskau und London hat eine schwere diplomatische Krise ausgelöst. Rund 25 westliche Staaten und die Nato wiesen als Reaktion auf den Anschlag etwa 150 russische Diplomaten aus, Moskau verwies im Gegenzug genauso viele westliche Diplomaten des Landes.

Am Mittwoch informierten die russischen Behörden die belgische Botschaft in Moskau, dass ein belgischer Diplomat das Land verlassen müsse. Das bestätigte ein Sprecher des belgischen Außenministerium in Brüssel. Auch ein Mitarbeiter der ungarischen Botschaft in Moskau wurde ausgewiesen, wie das russische Außenministerium mitteilte.

Trotz fehlender Beweise hält die Bundesregierung an dem Verdacht fest, dass Russland vermutlich hinter dem Attentat auf den Ex-Doppelagenten Skripal steckt. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte in Berlin, Deutschland teile die Einschätzung Großbritanniens, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Verantwortung Russlands gebe.

Großbritannien hat bisher keinen Beweis vorlegen können, dass der bei dem Anschlag eingesetzte Stoff tatsächlich aus Russland stammt. Ein britisches Labor hatte am Dienstag aber mitgeteilt, dass Skripal mit dem in der früheren Sowjetunion entwickelten Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden sei.

Tweet der Delegation

Informationen der OPCW