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100 000 Menschen vertrieben
Fluchtwelle im Nordwesten Syriens immer größer

Syriens Provinz Idlib wurde bisher fast vollständig von Rebellen kontrolliert. Doch Regierungstruppen rücken vor, die Gewalt eskaliert. Zehntausende fliehen Richtung türkische Grenze.

Damaskus (dpa) - Nach der Eskalation der Gewalt im Nordwesten des Bürgerkriegslandes Syrien wird die Fluchtwelle immer größer. Hilfsorganisationen berichten zudem von einer extrem angespannten humanitären Lage.

Nach UN-Angaben wurden von Dezember bis Anfang dieser Woche fast 100.000 Menschen aus dem Norden der Provinz Hama und dem Süden der Provinz Idlib vertrieben, wie aus am Mittwoch veröffentlichten Zahlen hervorgeht. Ende vergangener Woche hatten die UN noch von rund 70.000 Vertriebenen aus dieser Region gesprochen.

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, zeigte sich über die Lage in Idlib und auch in der Rebellenenklave Ost-Ghuta nahe Damaskus extrem besorgt. «Das Leiden der Menschen in Syrien kennt kein Ende», sagte er. Angriffe am Boden und Bombardierungen aus der Luft gefährdeten die Sicherheit von Hunderttausenden Zivilisten.

Die Provinz Idlib wurde bislang von Rebellen beherrscht. Die Regierungsgegner in der Region werden dominiert vom syrischen Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Russland und der Iran als Verbündete der Regierung sowie die Türkei als Unterstützer der Opposition hatten die Provinz im vergangenen Jahr zu einer Deeskalationszone erklärt.

Zuletzt gingen dort jedoch die Streitkräfte der Regierung in die Offensive, sodass die Gewalt wie auch in Ost-Ghuta eskalierte. Am Dienstag erreichten die syrische Armee und ihre Verbündeten den strategisch wichtigen Militärflughafen Abu al-Suhur im Osten Idlibs.

Aktivisten berichteten in den vergangenen Tagen von intensiven Angriffen der syrischen und russischen Luftwaffe mit vielen zivilen Opfern. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge fliehen die Menschen im Nordwesten Syriens auch, weil sie Angst haben, von syrischen Regierungstruppen eingeschlossen zu werden.

«Es ist eine große Welle fliehender Menschen», sagte der Sprecher der Hilfsorganisation Violet Syria, Nur Awad. Die Lage der Vertriebenen sei sehr schlecht. «Sie flüchten mit nichts anderem als ihren Kleidern am Leib.» Awad zufolge mangelt es vor allem an Unterkünften. Vor allem nachts sei es im Winter sehr kalt.

Auch das UN-Nothilfebüro Ocha erklärte, die Lage in der Provinz Idlib sei «extrem schlimm». Demnach haben die meisten Vertriebenenlager in der Region ihre Kapazität erreicht. Hilfsorganisationen hätten Probleme, den wachsenden Bedarf an Hilfsgütern zu decken. «Diese neue Situation hat sich im vergangenen Monat recht schnell entwickelt», sagte ein Mitarbeiter einer ausländischen Hilfsorganisation. Die Situation sei schon vor der neuen Fluchtwelle sehr schwierig gewesen.

Den UN zufolge flieht ein Großteil der Menschen in Richtung türkischer Grenze. Beobachter befürchten, sie könnten versuchen, ins Nachbarland zu kommen, sollte die Gewalt andere Gebiete erreichen. In dem Gebiet an der Grenze zur Türkei leben nach UN-Angaben mehr als 2,5 Millionen Menschen, darunter mehr als eine Million Vertriebene. Seit Beginn des Bürgerkriegs vor fast sieben Jahren sind demnach rund 5,5 Millionen Syrer in benachbarte Länder geflohen.

Angesichts der Eskalation der Gewalt in Idlib rief die Türkei Russland und den Iran dazu auf, die syrische Offensive zu stoppen. «Der Iran und Russland müssen ihre Verpflichtungen einhalten», sagte Mevlüt Cavusoglu. Sie sollten als Garantiemächte das Regime stoppen.

UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock hatte am Dienstag seinen ersten Besuch in Syrien seit Amtsantritt begonnen. Dort will er sich einen Überblick über die humanitäre Lage verschaffen. Für Ende Januar haben Russland, der Iran und die Türkei zu einer Syrienkonferenz im russischen Badeort Sotschi eingeladen. Dort soll über eine Nachkriegsordnung für das Krisenland verhandelt werden.

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