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Russland
Gericht löst Menschenrechtszentrum von Memorial auf

Protest
«Memorial kann nicht verboten werden»: Protest von Unterstützern der Menschenrechtsorganisation in Moskau. Foto: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa
Erst gestern hat Russlands oberstes Gericht die international bekannte Menschenrechtsorganisation Memorial aufgelöst. Heute muss nun deren Zentralstelle samt Archiv in Moskau die Pforten dicht machen.

Moskau (dpa) - Nur einen Tag nach der gerichtlich angeordneten Auflösung der international bekannten Menschenrechtsorganisation Memorial muss nun deren Zentralstelle samt Archiv in Moskau schließen.

Ein Gericht habe am Mittwoch einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben, teilte die russische Justiz mit. Die Organisation sprach von einer politischen Entscheidung. Jan Ratschinski von der Memorial-Leitung kündigte an, auch gegen dieses Urteil vorzugehen - wenn der nationale Rechtsweg ausgeschöpft sei, notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Das Internationale Auschwitz Komitee kritisierte das Vorgehen der Justiz. «Der Versuch russischer Behörden, die Zeit zurückzudrehen und die Idee und die Arbeit von Memorial zu zerstören wird nicht gelingen», sagte Vize-Präsident Christoph Heubner. Memorial sei über Russland hinaus zu einer moralischen Instanz geworden, die «die Verbrechen der stalinistischen Säuberungen aufgezeigt und vielen Opfern und ihren Angehörigen Hoffnung und Würde zurückgegeben hat».

Am Dienstag hatte Russlands oberstes Gericht die Auflösung der internationalen Menschenrechtsorganisation verfügt und ohne Angaben von Gründen einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen russische Gesetze stattgegeben. Memorial war bereits mehrfach zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sich die Organisation selbst nicht als ausländischer Agent bezeichnet. Das entsprechende umstrittene Gesetz sieht vor, dass Empfänger von Zahlungen aus dem Ausland als «Agenten» gekennzeichnet werden können.

Kritik aus Deutschland, den USA und der EU

Das Urteil löste international Entsetzen aus. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, die Entscheidung «widerspricht internationalen Verpflichtungen zum Schutz grundlegender Bürgerrechte, die auch Russland eingegangen ist». Kritik kam aus den USA und von der EU.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sprach angesichts der Gerichtsentscheidungen von massiven Schlägen gegen die russische Zivilgesellschaft, deren Folgen noch gar nicht abzusehen seien. «Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist für jede Gesellschaft eine Bereicherung», betonte Roth. Nur mit dem Wissen um die Verbrechen der Vergangenheit lässt sich neues Unrecht in der Zukunft verhindern.»

Das Vorgehen gegen Memorial ist der mit Abstand schwerste Schlag gegen die russische Menschenrechtsbewegung. Die Organisation hat sich seit mehr als 30 Jahren international einen Namen mit der Aufarbeitung der kommunistischen Gewaltherrschaft in der Sowjetunion gemacht. Sie setzt sich zudem für politische Gefangene ein.

Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten trotz eisiger Temperaturen wieder viele Menschen gegen das Urteil.

© dpa-infocom, dpa:211229-99-533729/4