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Sonntagsprotest
Hunderte Festnahmen in Belarus

Festnahme
Bei neuerlichen Protesten in Minsk kommt es wieder zu Festnahmen von Demonstranten. Foto: Viktor Tolochko/dpa
Trotz Polizeigewalt gehen die Menschen in Belarus weiter auf die Straße. Sie fordern den Rücktritt von Machthaber Lukaschenko. Die Opposition ist angesichts vieler Festnahmen besorgt.

Minsk (dpa) - Tausende Menschen haben in Belarus (Weißrussland) friedlich gegen den Präsidenten Alexander Lukaschenko protestiert, der sich an sein Amt klammert. Bei der Sonntagsdemonstration gingen Sicherheitskräfte erneut zum Teil rabiat vor.

Videos im Nachrichtenkanal Telegram zeigten, wie vermummte Uniformierte auf Menschen am Boden einprügelten. Es kam zu vielen Festnahmen. Das Menschenrechtszentrum Wesna listete zunächst die Namen von mehr als 330 Festgenommenen auf. Die Polizei sprach am Abend von etwa 250 Festnahmen. Am vergangenen Sonntag waren es etwa 300, in der Woche davor rund 1000.

Die größten Aktionen gab es in der Hauptstadt Minsk. Dort versammelten sich Demonstranten zunächst in ihren Wohnvierteln und schlossen sich dann zu größeren Protestzügen zusammen. Viele trugen bei Schneefall die historischen weiß-rot-weißen Fahnen.

In Videos war zu sehen, wie Sicherheitskräfte Demonstranten bis in die Innenhöfe von Wohnanlagen verfolgten. Immer wieder wurden Menschen in Kleinbusse gezerrt. Medien berichteten zudem über den Einsatz von Tränengas und Blendgranaten. Auch in anderen Städten forderten die Menschen Lukaschenkos Rücktritt.

Wie an den Sonntagen zuvor waren wieder Hundertschaften Uniformierter von Innenministerium und Armee in Minsk unterwegs gewesen. In Videos waren Gefangenentransporter, Wasserwerfer und andere schwere Technik auf den Straßen der Hauptstadt zu sehen. Sicherheitskräfte sperrten große Plätze mit dem Metallgittern ab.

Zudem waren sechs Metro-Stationen in Minsk gesperrt. Auch das mobile Internet war weitgehend abgeschaltet. Damit wollten es die Behörden erschweren, sich zu Versammlungen zu verabreden. Es gab außerdem Berichte, dass einige Wohnviertel ohne Strom waren. Offiziell hatte die Opposition die Aktion diesmal als «Marsch der Nachbarn» angekündigt. Es war der 16. Protestsonntag infolge.

Belarus steckt seit der Präsidentenwahl am 9. August in einer schweren innenpolitischen Krise. Der 66-jährige Lukaschenko hatte sich mit 80,1 Prozent der Stimmen zum Sieger erklären lassen. Die EU erkennt ihn nicht mehr als Präsidenten an. Die Opposition sieht die Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja als wahre Gewinnerin.

Die Bürgerrechtlerin, die ins EU-Land Litauen geflohen war, sagte vorab in einer Video-Botschaft, die Menschen in Belarus seien «gemeinsam einen schwierigen Weg gegangen». Sie hätten schreckliche Gewalt und Unmenschlichkeit gesehen und seien dabei im Gegensatz zum «Regime» sie selbst geblieben.

Die inhaftierte Oppositionelle Maria Kolesnikowa sagte über ihre Anwältin dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel», sie sei besorgt um das Wohl der Menschen in Belarus. «Kein Wunsch, an der Macht zu bleiben, kann solch ein nie dagewesenes Ausmaß an Gewalt rechtfertigen.» Friedliche Bürger würden wegen ihrer Ansichten geschlagen, gefoltert, verletzt und getötet, sagte die 38-Jährige, die lange in Stuttgart gelebt hat. «Wir leben in einem Polizeistaat.»

Die Demokratiebewegung fordert seit Wochen Lukaschenkos Rücktritt, ein Ende der Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten, die Freilassung aller politischen Gefangenen und Neuwahlen. Der Langzeitpräsident machte mehrfach deutlich, dass er seine Macht vorerst nicht abgeben will. Allerdings stellte er eine neue Verfassung in Aussicht. Einen Zeitpunkt dafür nannte er nicht.

© dpa-infocom, dpa:201129-99-506893/5