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Aus für Regierungskoalition
Israel wählt schon wieder - Lapid wird Regierungschef

Lapid und Bennett
Yair Lapid (l) übernimmt das Amt des Ministerpräsidenten von Naftali Bennett (r). Foto: Kobi Gideon
Jerusalem
Ein Blick auf das Plenum der Knesset, Israels Parlament. Foto: Ariel Schalit
In Israel hat sich das Parlament nach langwierigem Kräfte-Poker aufgelöst. Der Weg für eine Neuwahl ist damit frei - und die nächste Runde des politischen Machtkampfs eröffnet.

Jerusalem. Israel steht schon wieder vor einer Wahl. In dem Neun-Millionen-Einwohner-Land am Mittelmeer wird am 1. November ein neues Parlament bestimmt - bereits zum fünften Mal innerhalb von gut drei Jahren. Die Abgeordneten der Knesset in Jerusalem beschlossen dazu am Donnerstag einstimmig die Selbstauflösung des Parlaments.

Die bisherige Acht-Parteien-Koalition unter Ministerpräsident Naftali Bennett hatte kürzlich nach nur zwölf Monaten ihre Mehrheit verloren. Bei der Neuwahl hofft nun der frühere Regierungschef Benjamin Netanjahu auf eine Rückkehr an die Macht.

An diesem Freitag wird Außenminister Jair Lapid für die nächsten Monate den Posten des Regierungschefs übernehmen. Diese Rotation mit Bennett war schon vergangenes Jahr im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Das äußerst ungewöhnliche Bündnis wurde von Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum getragen - auch eine arabische Partei war erstmals in der Regierung. Bennett selbst will bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten. Der 50-Jährige verkündete am Mittwochabend seinen Rückzug aus der Politik. Gründe nannte er nicht.

Netanjahu will wieder Regierungschef werden

Dagegen bleibt der wegen Korruption angeklagte ehemalige Ministerpräsident Netanjahu weiter im Spiel: Der 72-Jährige, der sich vor Gericht verantworten muss, will wieder Ministerpräsident werden. Seine rechtskonservative Likud-Partei könnte Umfragen zufolge auch wieder stärkste Kraft werden. Netanjahus Rückkehr ins Amt hängt aber wohl davon ab, ob er Partner findet. Er war in Israel schon mehrmals Regierungschef, insgesamt mehr als anderthalb Jahrzehnte.

Israelische Medien spekulieren, dass mit Bennetts Abschied von der Politik ein Bündnis rechtsorientierter Parteien wieder möglich sei. Die ultrarechte Jamina-Partei hatte sich unter Bennetts Führung bislang geweigert, eine Koalition mit dem Likud zu bilden. Die vergangenen Wahlen hatten oft zu unklaren Mehrheitsverhältnissen geführt. Versuche, eine Regierung zu bilden, scheiterten oft.

Mit Lapid von der moderaten Zukunftspartei ist nun seit mehr als 20 Jahren erstmals wieder ein Ministerpräsident im Amt, der nicht aus dem rechten Lager stammt. Das dürfte den Druck auf die rechtsorientierten Parteien erhöhen, eine Koalition einzugehen. Es ist aber unklar, ob sie mit «Bibi» - wie er in Israel auch genannt wird - tatsächlich zustande kommen könnte. Der 72-Jährige hatte mit Abstimmungsboykotts gezielt die Regierung geschwächt.

Opposition taktiert

Auch bei der Parlamentsauflösung sparte die Opposition unter seiner Führung nicht mit taktischen Manövern. Sie entzog populären Gesetzesvorhaben wie dem Bau eines neuen U-Bahn-Netzes die Unterstützung, weil sie ihren Wunsch-Wahltermin am 25. Oktober nicht durchsetzen konnte. Der Tag hätte womöglich mehr potenziell rechtsorientierte Wähler an die Urne gelockt, da Schüler jüdischer Religionsschulen zu diesem Zeitpunkt Ferien haben.

Netanjahu nannte die Koalition ein «gescheitertes Experiment». Seine Partei wolle Israel nun seinen Nationalstolz zurückgeben, sagte er vor der Abstimmung im Parlament. Die Auflösung war eigentlich bereits für Montag geplant gewesen. Langwierige Debatten zwischen Regierung und Opposition verzögerten die Abstimmung jedoch.

Bei einer Zeremonie zur Machtübergabe lobte Lapid den scheidenden Regierungschef Bennett und dessen Arbeit. Er sei ein ausgezeichneter Ministerpräsident, guter Mensch und Freund. «Wir werden unser Bestes geben für einen jüdischen, demokratischen Staat», versprach Lapid.

Nach einem Bericht des Israelischen Demokratie-Instituts ist Israel weltweit Spitzenreiter bei der Wahlhäufigkeit. Im Schnitt fand seit 1996 alle zweieinhalb Jahre eine Wahl statt. Auf Platz zwei und drei folgen Griechenland und Spanien.

© dpa-infocom, dpa:220630-99-858019/6