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Brexit-Route weiter unklar
Johnson kämpft um Mehrheit für Neuwahl in Großbritannien

Boris Johnson
Premier Boris Johnson ist mit den Ergebnissen der letzten Abstimmungen im Parlament schwer unzufrieden. Foto: Paul Grover/Daily Telegraph/PA Wire/dpa
Der britische Fernsehsender Sky News hat einen Informationskanal ins Leben gerufen, der komplett auf Brexit-Nachrichten verzichtet. Viele Briten haben das Thema satt. Doch die Debatte dreht sich immer weiter. Jetzt geht es wieder um Neuwahlen.

London (dpa) - Großbritanniens Premierminister Boris Johnson kämpft um eine parlamentarische Mehrheit für eine Neuwahl am 12. Dezember. Laut bisherigen Äußerungen von Oppositionspolitikern kann Johnson bisher nicht davon ausgehen, wie angestrebt am Montag eine Mehrheit für seinen Vorschlag zu bekommen.

Auch der bei Johnson in Ungnade gefallene frühere Tory-Schatzkanzler Philip Hammond sagte am Sonntag: «Dies ist nicht die Zeit, um Wahlen abzuhalten. Dies ist die Zeit für eine erwachsene, mit kühlem Kopf agierende Regierung.»

Der Premierminister forderte deshalb die Opposition mit harschen Worten auf, die Pattsituation zu beenden, und warf ihr vor, das Land in Geiselhaft zu nehmen. Unterdessen machten die Liberaldemokraten und die schottische Nationalpartei SNP einen gemeinsamen Vorstoß, Johnson einen Weg zu den von ihm gewünschten Neuwahlen zu eröffnen.

Johnson will am Montag darüber abstimmen lassen, ob es am 12. Dezember zu einer Parlamentswahl in Großbritannien kommt. Unter der bisherigen Gesetzgebung braucht er dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit - und damit die Zustimmung eines guten Teils der Abgeordneten der Labour-Partei. Deren Vorsitzender Jeremy Corbyn hatte sich jedoch zurückhaltend geäußert und will erst eine Entscheidung in Brüssel über die Verlängerung der Brexit-Frist abwarten.

In Brüssel herrscht grundsätzlich Einigkeit über die Gewährung einer weiteren Fristverlängerung über den 31. Oktober hinaus. Jedoch hat Frankreich Bedenken gegen eine Verlängerung bis ins nächste Jahr hinein angemeldet. Möglich erscheint nun auch eine kurze Schonfrist von wenigen Wochen, um Johnson zu ermöglichen, sein Gesetz durchs Parlament zu bringen.

Die Entscheidung in Brüssel soll Anfang der Woche fallen, aber möglicherweise nicht mehr vor der Abstimmung in London. Frankreich forderte am Sonntag Klarheit, wie es auf britischer Seite weitergeht. «Wenn die Dinge klar sind, können wir klar antworten», sagte Europastaatssekretärin Amélie de Montchalin im Sender TV5 Monde. «Heute ist nichts klar.» So sei es bisher nicht deutlich geworden, ob das Parlament Neuwahlen unterstütze. Frankreich fährt im Brexit-Streit traditionell einen harten Kurs.

Die Labour-Abgeordnete Diane Abbott sagte am Samstag in der BBC, das Risiko eines No-Deal-Brexits müsse erst ausgeschlossen werden. Andernfalls drohe ein «Trump-Brexit», die die britische Volkswirtschaft US-amerikanischen Großkonzernen ausliefere. Am Samstag hatte die «Financial Times» über Überlegungen der britischen Regierung berichtet, nach einem Brexit Arbeitnehmerrechte auszuhöhlen, und sich dabei auf Unterlagen berufen, die ihr aus der Downing Street zugespielt worden waren. Der «Independent» hatte über Bedenken berichtet, wonach bei einem Handelsabkommen mit den USA wesentliche Regulierungen, etwa bei der Behandlung von Hühner- oder Rindfleisch über Bord geworfen werden könnten.

Der frühere Labour-Premierminister Tony Blair forderte seine Partei auf, dafür zu sorgen, dass ein No-Deal-Brexit komplett vom Tisch sei, bevor man einer Neuwahl zustimme. Das gelte auch für den Fall, dass nach einem Austritt die Verhandlungen für ein Handelsabkommen mit der EU scheitern könnte. Viele in Großbritannien befürchten, dass Johnson für diesen Fall einen No-Deal-Brexit durch die Hintertür im Jahr 2020 einleiten könnte. Labour-Parteichef Jeremy Corbyn warf Johnson vor, dieser plane, Großbritannien zu einem Niedrigsteuer-Land am Rande der EU zu machen.

Die oppositionellen Liberaldemokraten boten am Sonntag gemeinsam mit der SNP an, eine Neuwahl am 9. Dezember zu unterstützen, wenn es gleichzeitig eine Brexit-Verlängerung bis zum 31. Januar gibt. Die drei Tage frühere Wahl würde Spekulationen zufolge die Beteiligung von deutlich mehr Studenten garantieren, die in der Mehrheit pro-europäisch wählen. Dem Vorschlag Johnsons für Neuwahlen am 12. Dezember sei nicht zu trauen. «Dies ist ein Mann, der nicht tut, was er sagt», sagte die liberaldemokratische Parteichefin Jo Swinson.

Mit einer Gesetzesänderung könnte eine neue Rechtslage geschaffen werden, die statt der bisher notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit nur eine einfache Mehrheit erfordert. Vertreter der konservativen Regierungspartei Johnsons wiesen den Vorschlag umgehend zurück. «Wir werden nicht auf zwei Parteien hören, die explizit gesagt haben, dass sie den Brexit verhindern wollen», sagte der Tory-Vorsitzende James Cleverly in der BBC-Sendung Andrew-Marr-Show.

Der «Sunday Express» zitierte Johnson am Sonntag mit heftigen Vorwürfen gegen das Parlament. «Mehr als drei Jahre lang hat das Parlament dem Land ständig gesagt, was es nicht will. Aber es hat nie sagen wollen oder können, was es will.» Dies habe zu einem Stillstand geführt. «Das Parlament kann das Land nicht länger in Geiselhaft nehmen.» Millionen Unternehmen und Menschen könnten ihre Zukunft nicht ordentlich planen. «Diese Lähmung verursacht echten Schaden und das Land muss im Jahr 2020 sich vorwärts entwickeln.»

In neuen Meinungsumfragen wird Johnsons Kurs bestätigt. Seine Tories liegen in einer Umfrage des Institutes YouGov für die «Times» mit 36 Prozent der Stimmen 13 Prozentpunkte vor Labour (23 Prozent). Es folgen die pro-europäischen Liberaldemokraten (18) und die harten Austrittsbefürworter der Brexit-Partei von Nigel Farage (12). Eine Umfrage des Instituts «Opinion» für den «Observer» gibt den Tories sogar einen Vorsprung von 16 Punkten. Johnsons Beliebtheitswerte sind dort mehr als doppelt so hoch wie die des Labour-Chefs Jeremy Corbyn.

Justin Welby, Erzbischof von Canterbury und damit Großbritanniens ranghöchster Geistlicher in der Kirche von England, wirft Johnson vor, Öl ins Feuer der politischen Debatte zu gießen. «In Zeiten tiefer Unsicherheit reicht eine deutlich geringere Menge an Öl aus, um gefährlich zu sein, als in Zeiten, wenn die Menschen sich sicher fühlen», sagte Welby der «Sunday Times». «Ich mache dafür nicht nur die Regierung verantwortlich. Ich glaube, wir sind ziemlich kaputt.»