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Stilikone
Karl Lagerfeld: Er war der «letzte Dandy von Paris»

Karl Lagerfeld
Ein Paris ohne Karl Lagerfeld kann man sich kaum vorstellen. Foto: Christophe Ena/AP
Karl Lagerfeld hat mehr als 50 Jahre lang die Welt der Mode beherrscht. Der Nachwelt hinterlässt er Traumkreationen, legendäre Zitate und das Bild einer Stilikone, die ihresgleichen sucht.

Paris (dpa) - Er war der Marathonläufer der Modewelt, ihr Tausendsassa und ihr wohl populärstes Gesicht. Karl Otto Lagerfeld, Urgestein des Pariser Chic, ist tot.

Mehr als 50 Jahre lang entwarf Deutschlands wichtigster Mode-Export Kleider für die größten Modehäuser, darunter auch den Italiener Fendi. Seit 1983 leitete er die kreativen Geschicke von Chanel. Daneben verfolgte der Wahlfranzose stets weitere Projekte, zeichnete Karikaturen, fotografierte, designte Inneneinrichtungen und gab sogar eine Zeitung «Karl Daily» heraus. Lagerfeld war nicht nur ein Stardesigner, er war der letzte Pariser Modezar.

Wann Lagerfeld geboren wurde, war zeit seines Lebens unklar. Der Meister selbst, den die Zeitschrift «L'Express» als «letzten Dandy von Paris» bezeichnete, schwankte immer wieder zwischen 1935 und 1938. Der «Munzinger» zählt auch 1933 auf. Irgendwann bestand er auf dem Jahr 1935 - die anderen Zahlen seien Angaben seiner Mutter. Als sicher gilt der Geburtstag am 10. September.

Die Ideen gingen ihm nie aus. Sein größter Coup jedoch war die Umgestaltung der eigenen Person zu einer Art Gesamtkunstwerk. Mit Sonnenbrille, weißgepudertem Zopf, dunkler Krawatte und dem typischen hohen «Vatermörderkragen» erkannte ihn gleichsam jedes Kind. Diese Montur bot zugleich eine undurchdringliche Fassade, hinter der er sich verstecken konnte. Er selbst spottete gerne über die eigene Erscheinung. Überhaupt liebte Lagerfeld Ironie.

«Ich kenne Strass, aber keinen Stress.» Viele Bonmots und Spitzen beweisen Lagerfelds Schlagfertigkeit. Über Freizeitkleidung: «Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.» Über Günter Grass (1927-2015): «Er sollte sich mal Schlips und Kragen zulegen.» Über Heidi Klum: «Die war nie in Paris, die kennen wir nicht.»

Großen Wirbel löste 2017 Lagerfelds Kritik an Angela Merkel aus. Die deutsche Kanzlerin habe eine Million zusätzliche Flüchtlinge aufgenommen, «um sich ein charmantes Image zu geben». Merkel habe mit der Flüchtlingspolitik einen großen Fehler gemacht. «Man kann nicht, selbst wenn Jahrzehnte dazwischen liegen, Millionen Juden töten, um danach Millionen ihrer schlimmsten Feinde kommen zu lassen.»

Auch wenn Lagerfeld immer wieder öffentlich im Mittelpunkt stand und sich als «egoistisch» bezeichnete - egozentrisch wirkte er trotz des extravaganten Auftretens nie. Wer ihm persönlich begegnete, erlebte einen aufgeschlossenen Menschen, der Tageszeitungen konsumierte wie andere Zigaretten und stets ausgezeichnet über das aktuelle Geschehen unterrichtet war.

Zudem besaß er etwa 300.000 Bücher und konnte trotz der Menge aus dem Kopf sagen, ob er einen bestimmten Titel schon besaß oder nicht. «Stets dem Leben zugewandt» schien seine Devise zu sein.

Seine Abneigung, nostalgisch nach hinten zu schauen, verrieten auch im Alter den gebürtigen Hanseaten, der zupackt und jede Art von Jammern verabscheut. Eine gute Umgebung von Leuten, die nicht über Krankheit und über das Altern sprechen, sei wichtig, wie er in einem Interview mit dem «Zeit Magazin» sagte. Er kenne niemanden aus seiner Generation und finde diese Leute entsetzlich.

Der Wahlpariser stammte aus Hamburg. Sein Vater Otto Lagerfeld war ein wohlhabender Dosenmilchfabrikant, seine Mutter Elisabeth eine Landratstochter aus dem Münsterland. Zeitweise lebte die Familie in Bad Bramstedt, wo der Vater in den 1930er Jahren das Gut Bissenmoor erworben hatte. Lagerfelds künstlerische Begabung wurde von seiner Mutter gefördert, die ihm auch riet, als junger Mann nach Paris zu gehen.

Mitte der 1950er Jahre gewann Lagerfeld in Paris einen Preis im Wettbewerb der Internationalen Wollsekretariats (IWS) für ein Mantelmodell und bekam daraufhin eine Stelle bei Pierre Balmain. Bald war er für verschiedene Modehäuser tätig. Der mit ihm befreundete Yves Saint Laurent wurde in den 1970er Jahren sein größter Konkurrent. Doch als der geniale Saint Laurent schon den Zenit seiner Karriere überschritten hatte, begann Lagerfelds rasanter Aufstieg erst. Die Umgestaltung der Traditionsmarke Chanel zu einem modernen Luxuslabel geriet dem Deutschen zu einem Meisterstück.

Dem Erbe Coco Chanels blieb er treu, doch übersetzte er die kragenlosen Jacken neu, brachte den typischen Tweedstoff mal zerfranst, mal mit Bändern durchwirkt heraus, entwarf Motorradjacken mit Rautenmuster à la Chanel, fügte Bikerstiefel hinzu oder kombinierte Haute Couture-Kleider zu Sneakers. Auch bei der Wahl der Orte für seine Schauen bewies er eine glückliche Hand. So bildete im Herbst 2017 die Hamburger Elbphilharmonie die Kulisse. Topstars wie Kristen Stewart unter Tilda Swinton waren unter den Besuchern.

Zuletzt fehlte der Stardesigner auf der Chanel-Show in Paris. Statt wie üblich am Ende der Schau aufzutreten und sich für seine Kreationen feiern zu lassen, hieß es von Chanel im Januar, Lagerfeld habe sich müde gefühlt. Eine Premiere. Bereits bei der Show im Herbst gab es Spekulationen: Lagerfeld blieb damals außergewöhnlich lange auf dem Laufsteg, um den Applaus entgegenzunehmen. Ausnahmsweise war auch die Wertheimer-Familie gekommen, die Eigentümer von Chanel, um dem Chefdesigner zu gratulieren. Einige werteten dies als Abschied.

Lagerfeld arbeitete immer mit eiserner Disziplin, sah seine Tätigkeit jedoch nicht als Pflicht, sondern als Spaß an. Der Fabrikantensohn wollte selbst nie ein eigenes Unternehmen besitzen. Er fürchtete, dadurch in seiner Freiheit zu sehr eingeschränkt zu werden.

Diese Freiheit nutzte er für einen wohl kaum zu überbietenden schöpferischen Output. Auch im Alter behielt er sein Gespür für die kommenden Trends, die angesagteste Musik oder die neueste Technik.

Mit seinen «seismographischen» Fähigkeiten entdeckte er künftige Topmodels, machte Claudia Schiffer und später seine männliche Muse Baptiste Giabiconi zu Stars. Zuletzt verhalf er sogar einem Haustier zu Weltruhm. Lagerfelds Katze Choupette warb für Autos und Kosmetik und hatte über 49.000 Follower auf Twitter.

Man kann sicher sein, dass nach Lagerfelds Tod Choupette gut versorgt sein wird. Auch langjährige Mitarbeiter wollte Lagerfeld in seinem Nachlass bedacht haben. Niemand, der über Jahre für ihn tätig sei, solle je wieder mit einem anderen arbeiten müssen, sagte er in einem Interview. Am Ende entpuppte sich der selbsternannte Egoist als Menschenfreund. In der Mode hinterlässt er eine kaum zu füllende Lücke. Ein Paris ohne Karl kann und mag man sich kaum vorstellen.