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Verdunkelungsgefahr
Korruptionsaffäre in Österreich: Demoskopin festgenommen

Sebastian Kurz
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz ist von seinem Amt zurückgetreten. Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa
Neue Wendung in Österreichs Korruptionsaffäre: Die Polizei hat eine Meinungsforscherin festgenommen. Sie soll eine zentrale Rolle bei der Erstellung von geschönten Umfragen zum Vorteil der ÖVP gespielt haben.

Wien (dpa) - In Österreich ist wegen der Korruptionsvorwürfe rund um die konservative ÖVP nach Medieninformationen eine Meinungsforscherin festgenommen worden. Ein entsprechender Bericht der Zeitung «Der Standard» wurde der österreichischen Nachrichtenagentur APA aus Anwalts- und Regierungskreisen bestätigt.

Die Demoskopin wird demnach von der Staatsanwaltschaft verdächtigt, eine zentrale Rolle bei der Erstellung von geschönten Umfragen zum Vorteil der ÖVP gespielt zu haben, die dann in Medien platziert worden seien. Dafür sollen Steuergelder veruntreut worden sein. Grund für die Festnahme soll Verdunkelungsgefahr sein. Die Beschuldigte soll laut der Zeitung kurz vor einer Hausdurchsuchung am 6. Oktober die Festplatte ihres Computers gelöscht haben.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bestätigte den Vorgang nicht. Sie erklärte, dass sie in laufenden Ermittlungsverfahren Anfragen zu konkreten Ermittlungsmaßnahmen nicht beantworten dürfe. Die Anwältin der Verdächtigen war zunächst nicht erreichbar.

Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und neun weitere Verdächtige wegen möglicher Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Das Team um Kurz soll den Aufstieg des 35-Jährigen in Partei und Regierung auch durch eine Zusammenarbeit mit einem Medienhaus organisiert und dafür Steuergeld verwendet haben. Kurz und das Medienhaus bestreiten die Vorwürfe vehement.

Im Nationalrat lieferten sich Koalition und Opposition ein heftiges Wortgefecht um die Vorwürfe an die Adresse von Kurz. Der neue Kanzler Alexander Schallenberg verteidigte seinen Vorgänger erneut und zeigte sich über einen Misstrauensantrag gegen Finanzminister Gernot Blümel, einem Kurz-Vertrauten, befremdet. Die oppositionellen Sozialdemokraten verlangten von Schallenberg einen klaren Schnitt mit dem konservativen Machtapparat seines Vorgängers. Er solle sich von allen unter Korruptionsverdacht stehenden Mitarbeitern von Kurz trennen, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. «Wer blind folgt, kann nicht führen», so die Sozialdemokratin an die Adresse von Schallenberg.

Einstimmig zu neuem ÖVP-Fraktions-Chef gewählt

Kurz bleibt nach seinem Rücktritt Parteichef und ist von der ÖVP-Fraktion einstimmig zu ihrem neuen Chef bestimmt worden. Er soll am Donnerstag als Abgeordneter vereidigt werden. Am Dienstag musste er sich daher nicht der Kritik der Opposition im Parlament aussetzen.

Unterdessen mehren sich die Stimmen von ÖVP-Spitzenpolitikern, die den Einfluss des Ex-Kanzlers begrenzen wollen. Tirols Landeschef Günther Platter forderte in der «Tiroler Tageszeitung» Schallenberg auf, die Regierung «ohne Einflussnahme nach seinen Vorstellungen» zu führen. Zuvor hatten sich schon ÖVP-Amtskollegen aus der Steiermark und Vorarlberg ähnlich geäußert.

Der Ex-Kanzler und die ÖVP haben laut einer Umfrage durch die Regierungskrise in der Wählergunst deutlich verloren. In der Sonntagsfrage («Angenommen, am kommenden Sonntag wären Nationalratswahlen in Österreich. Welcher Partei würden Sie Ihre Stimme geben?») käme die ÖVP unter einem Spitzenkandidaten Kurz nur noch auf 26 Prozent, wie aus der Befragung im Auftrag der «Kronen Zeitung» hervorgeht. Zuletzt wurde die ÖVP mit deutlich mehr als 30 Prozent gehandelt. Damit liegen ÖVP und sozialdemokratische SPÖ, die leicht zulegen würde, seit Jahren erstmals wieder auf einem ähnlichen Niveau.

Die rechte FPÖ profitiert den Angaben zufolge von den Entwicklungen und kommt auf bis zu 21 Prozent. Weitgehend unverändert rangieren laut Umfrage Grüne und liberale Neos bei jeweils etwa elf Prozent. Die in der Corona-Krise impfkritische neue Partei MFG käme mit sieben Prozent ins Parlament. Vorgezogene Wahlen lehnen 48 Prozent der Österreicher ab, 42 Prozent wären dafür, so die Umfrage.

© dpa-infocom, dpa:211012-99-569972/3

"Der Standard"