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Bewachung in Berlin verstärkt
Kreml: Russland zur Zusammenarbeit in Fall Nawalny bereit

Alexej Nawalny
Alexej Nawalny, Oppositionsführer aus Russland. Foto: Pavel Golovkin/AP/dpa
Vor drei Wochen fiel der Kremlkritiker Nawalny ins Koma. Inzwischen ist er wieder bei Bewusstsein, doch der Fall hat international hohe Wellen geschlagen - und bringt Russland in Bedrängnis. Auch die Kritik aus den USA wird lauter.

Berlin/Moskau (dpa) - Russland ist nun doch zur internationalen Zusammenarbeit im Fall des vergifteten Kremlkritikers Alexej Nawalny bereit.

Russland werde Kontakt aufnehmen mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), nachdem Deutschland seine Untersuchungsergebnisse zu dem «Berliner Patienten» übergeben habe, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge am Donnerstag. Nawalny soll mit einem international geächteten Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe vergiftet worden sein.

Von deutscher Seite habe es bisher keine Reaktion gegeben, trotz entsprechender Anfragen der russischen Generalstaatsanwaltschaft, Untersuchungsergebnisse zur Verfügung zu stellen, sagte Peskow. Russland sah bisher keinen Grund, in dem Fall überhaupt etwas zu unternehmen. Der russische Vertreter bei der OPCW, Alexander Schulgin, teilte mit, dass von Berlin bisher keine Unterlagen übergeben worden seien.

Der 44 Jahre alte Nawalny, einer der schärfsten Gegner von Kremlchef Wladimir Putin, wurde am 20. August bei einem Inlandsflug in Russland bewusstlos. Auf Drängen seiner Familie wurde er nach einer Erstbehandlung in Sibirien nach Berlin in die Charité verlegt. Die Bundesregierung sieht es nach Untersuchungen in einem Spezial-Labor der Bundeswehr als erwiesen an, dass er mit einem militärischen Nervenkampfstoff vergiftet wurde. Unterstützer Nawalnys vermuten Moskau hinter der Tat.

Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat in dem Fall ein Rechtshilfegesuch in Deutschland gestellt. Bereits in der vergangenen Woche hatten die deutschen Behörden betont, dass die Berliner Justizverwaltung dies prüfe. Bundesaußenminister Heiko Maas hatte in der ARD angekündigt, die deutsche Seite werde zustimmen. Die Bundesregierung sieht aber keine Voraussetzungen für eine Übergabe der Beweisführung an Russland.

Auch US-Außenminister Mike Pompeo hält nach eigenen Worten eine Beteiligung hochrangiger russischer Regierungsvertreter an der Vergiftung für wahrscheinlich. Pompeo sprach am Mittwoch (Ortszeit) in der Radiosendung «The Ben Shapiro Show» von einer «beträchtlichen Wahrscheinlichkeit», dass dies der Fall sei. «Das wird sich für die Russen als kostspielig erweisen.»

Pompeo sagte, die EU und die USA hätten der russischen Regierung deutlich gemacht, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden sollten. «Auch wir werden alles unternehmen, um zu einer Schlussfolgerung darüber zu kommen, wer verantwortlich war.» Er wolle Präsident Donald Trump aber nicht vorgreifen bei der Frage, wie die US-Regierung auf den Vorfall reagieren werde.

Mit Nachdruck wiesen Kremlsprecher Peskow und Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow diese Äußerungen als nicht hinnehmbar zurück. Russland werde dem Westen kein Wort mehr glauben zur Situation um Nawalny, sagte Lawrow vor Journalisten in Moskau.

Peskow betonte abermals, Nawalny sei den Deutschen im August ohne Vergiftungserscheinungen übergeben worden. Russische Ärzte hatten dem lange bewusstlosen Nawalny eine Stoffwechselstörung und niedrigen Blutzucker bescheinigt. Russische Politiker meinten, Nawalny sei womöglich in Deutschland vergiftet worden. Peskow betonte nun erneut, dass die russischen Spezialisten kein Gift nachgewiesen hätten.

Unterdessen verschärfte das Berliner Landeskriminalamt (LKA) einem Medienbericht zufolge die Vorkehrungen für die Sicherheit Nawalnys. Sowohl die Anzahl der eingesetzten Beamten als auch die Kontrolldichte sei erhöht worden, berichtete der «Spiegel» und verwies auf gemeinsame Recherchen mit der Investigativplattform Bellingcat. «Er soll jetzt auch im Krankenhaus bewacht werden.»

Ein Polizeisprecher sagte am Donnerstag auf Anfrage, zuständig sei das LKA in enger Abstimmung mit anderen Behörden. Anfangs sei das Bundeskriminalamt (BKA) zuständig gewesen, das habe dann gewechselt. Die angeblich verschärften Sicherheitsvorkehrungen stehen demnach in Zusammenhang mit der Befürchtung, es könne zu weiteren Attentatsversuchen kommen.

Zu Wochenbeginn hatte die Charité mitgeteilt, der Gesundheitszustand Nawalnys habe sich gebessert, das künstliche Koma sei beendet worden. Der 44-Jährige werde nun schrittweise von der maschinellen Beatmung entwöhnt und reagiere auf Ansprache. Langzeitfolgen der schweren Vergiftung seien aber weiterhin nicht auszuschließen. Bis Donnerstagnachmittag veröffentlichte die Klinik keine neuen Angaben zum Gesundheitszustand Nawalnys.

Laut «Spiegel»-Bericht soll der Kremlkritiker bereits wieder sprechen können und sich «vermutlich an Details vor seinem Zusammenbruch an Bord» des Flugzeugs erinnern. Nawalnys Sprecherin betonte jedoch, dass derartige Berichte «sehr übertrieben» seien und «viele sachliche Ungenauigkeiten» enthalten würden.

In Russland wurde indes ein Mitarbeiter Nawalnys in der Großstadt Tscheljabinsk zusammengeschlagen. Dort steht am Wochenende die Wahl zum Regionalparlament an. Mehrere Nawalny-Helfer sollen nach eigenen Angaben in den vergangenen Wochen zahlreiche Drohungen bekommen haben. Nawalnys Team will nämlich bei der Wahl die Dominanz der Kremlpartei Geeintes Russland brechen.

© dpa-infocom, dpa:200910-99-507749/3