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Russische Invasion
Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Donezk
In den besetzten ukrainischen Gebieten will die russische Militärverwaltung über den Beitritt zu Russland abstimmen lassen. Foto: Leo Correa
Russland will der Ukraine große Teile ihres Staatsgebietes entreißen. Der internationale Aufschrei ist groß, doch der ukrainische Präsident Selenskyj gibt sich gelassen. Die Entwicklungen im Überblick.

Kiew/Moskau. Russland steuert trotz massiver internationaler Kritik auf Scheinreferenden über einen Anschluss der besetzten ukrainischen Gebiete zu. Wichtige Kreml-Propagandisten legten nahe, dass sich am Mittwoch auch Präsident Wladimir Putin dazu äußern werde. Am Abend blieb eine von mehreren russischen Medien angekündigte Fernsehansprache Putins aus.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte demonstrativ gelassen auf die Ankündigung von Volksabstimmungen in den Gebieten Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja. Daran sei nichts Neues. «Unsere Position ändert sich nicht durch Lärm oder irgendwelche Ankündigungen», sagte er in seiner Videoansprache. «Wir verteidigen die Ukraine, wir befreien unser Land, und wir zeigen vor allem keinerlei Schwäche.»

Selenskyj bekommt heute die Gelegenheit, die Position der Ukraine in der UN-Vollversammlung zu verdeutlichen. Er wird dort per Video zugeschaltet, Putin wird in New York von Außenminister Sergej Lawrow vertreten. Die von Moskau angestrebte Eskalation im seit fast sieben Monaten dauernden Angriffskrieg überschattet die UN-Generaldebatte, bei der auch US-Präsident Joe Biden sprechen soll. Für die Ukraine ist Mittwoch der 210. Kriegstag seit Beginn der russischen Invasion vom 24. Februar.

Ukraine bekommt Solidaritätsadressen westlicher Partner

Selenskyj dankte für die einhellige Verurteilung der russischen Pläne durch viele Länder und Organisationen. «Wir haben die volle Unterstützung unsere Partner», sagte er in Kiew. Unter anderem haben Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den Moskauer Vorstoß kritisiert. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nannte die Abstimmungen illegal und einen Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verurteilte die angekündigten Abstimmungen als Verhöhnung der Ukraine und der Vereinten Nationen. «Bei aller Vorsicht, bei aller Verantwortung, die wir haben, dürfen wir uns von dieser erneuten Provokation nicht kirre machen lassen, sondern wir müssen in der vollen Verantwortung für den Frieden in Europa die Ukraine jetzt weiterhin unterstützen», sagte die Grünen-Politikerin in den ARD-«Tagesthemen». Waffenlieferungen sollten weitergehen, «weil damit Menschenleben gerettet werden».

Besetzte Gebiete bitten Putin um Hilfe

Die von Moskau gestützten Separatistengebiete Donezk und Luhansk sowie die im Krieg eroberten Regionen Donezk und Saporischschja planen vom 23. bis 27. September Volksabstimmungen. Das teilten sie am Dienstag mit. Die zeitgleichen Scheinreferenden ohne Zustimmung der Ukraine und ohne jegliche Kontrolle laufen auf einen schnellen Anschluss an Russland heraus. Sie gelten als Moskauer Reaktion auf die erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive im Osten. 2014 hatte sich Russland die ukrainische Halbinsel Krim einverleibt und dies mit einem international nicht anerkannten Referendum zu untermauern versucht.

Wie in einem Drehbuch zu Putins Auftritt wandten sich die Verwaltungschefs von Donezk und Cherson direkt an den Präsidenten im Kreml. Sie baten, dass er den Beitritt zu Russland befürworten möge. «Dieses Ereignis wird die Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit», sagte Separatistenführer Denis Puschilin aus Donezk.

Wie viele Menschen sich in den von Moskau beherrschten Teilen der Ukraine aufhalten, lässt sich kaum sagen. Die Bevölkerung dort ist seit Februar durch Tod, Flucht oder Verschleppung nach Russland stark dezimiert worden. Moskau hält trotz der ukrainischen Gegenoffensiven Schätzungen zufolge immer noch mehr als ein Sechstel des ukrainischen Staatsgebiets inklusive der Krim besetzt.

Eine Annexion der Gebiete würde für Moskau bedeuten, dass es die mögliche Rückeroberung durch die Ukraine als Angriff auf eigenes Staatsgebiet darstellen könnte. Dies würde es auch erleichtern, in Russland eine Teil- oder Generalmobilmachung zu verkünden. Schnell durchgepaukte Gesetzesänderungen im russischen Parlament vom Dienstag scheinen in diese Richtung zu deuten. Allerdings verneinte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Andrej Kartapalow, dass eine allgemeine Mobilmachung geplant sei.

Die Mediengruppe RBK und der Staatssender RT kündigten für Dienstagabend eine Rede Putins an, die dann aber doch nicht gehalten wurde. Nach mehreren Stunden des Wartens schrieb RT-Chefin Margarita Simonjan auf Telegram «Geht schlafen!». Der TV-Propagandist Wladimir Solowjow schrieb schlicht: «Morgen».

USA wollen bei Aufklärung von Kriegsverbrechen helfen

Die USA wollen der Ukraine bei der Aufklärung russischer Kriegsverbrechen mehr Hilfe leisten. US-Justizminister Merrick Garland und der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin unterzeichneten in Washington eine entsprechende Absichtserklärung.

Die USA wollten Kiew dabei unterstützen, Menschen «zu identifizieren, festzunehmen und strafrechtlich zu verfolgen, die an Kriegsverbrechen und anderen Gräueltaten in der Ukraine beteiligt sind», sagte Garland. Es gehe darum, den Opfern ein gewisses Maß an Gerechtigkeit zu verschaffen, betonte Kostin.

Wie im Frühjahr nahe der Hauptstadt Kiew sind die ukrainischen Behörden nun auch nach der Befreiung des Gebiets Charkiw auf Massengräber gestoßen. Viele der Leichen weisen nach ukrainischen Angaben Spuren eines gewaltsamen Todes auf, was den Verdacht auf russische Kriegsverbrechen nahelegt.

Das wird heute wichtig

Der ukrainische Präsident Selenskyj wird nicht nur zur UN-Generalversammlung sprechen. Er hält auch eine Ansprache vor Vertretern der US-Rüstungsindustrie - ebenfalls per Videoschalte. Die USA sind für die Ukraine der wichtigste Waffenlieferant. Verteidigungsminister Olexij Resnikow soll ebenfalls im Rahmen des Treffens der US-Rüstungsbranche NDIA sprechen.

© dpa-infocom, dpa:220921-99-840305/2