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Russische Invasion
Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Selenskyj in Charkiw
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht die vom Krieg stark betroffene Region Charkiw im Osten des Landes. Foto: Ukrainian Presidential Press Office
Menschen in Pokrowsk
Ein älterer Patient wird am Bahnhof von Pokrowsk in einen medizinischen Evakuierungszug verlegt. Der speziell ausgestattete Zug von Ärzte ohne Grenzen (MSF) bringt Menschen aus überfüllten Krankenhäusern in der Nähe der Frontlinie in die Westukraine. Foto: Francisco Seco
Mann in Kiew
Ein Mann geht in Kiew an einem Poster vorbei, das zur Unterstützung der Verteidiger von Mariupol angebracht wurde. Foto: Deml Ondøej
Soldaten in Lyssytschansk
Soldaten in einem Außenbezirk von Lyssytschansk. Die Stadt in der Region Luhansk gehört zu einem der größten Chemiekomplexe der Ukraine. Foto: Rick Mave
Mit massivem Beschuss zermürbt die russische Armee die ukrainischen Linien im Osten. Kiew berichtet von massiven Schäden. Ein Überblick über die Entwicklung in der Nacht und ein Ausblick auf den Tag.

Kiew/Brüssel/Washington. Im Osten der Ukraine sind die russischen Truppen am Montag weiter auf wichtige Ziele vorgerückt. Am 96. Tag des Krieges drangen sie nach ukrainischen Angaben in die schwer umkämpfte Großstadt Sjewjerodonezk ein.

Die Stadt mit bislang etwa 100.000 Einwohnern gilt als wichtigste Kommune, die das ukrainische Militär in der Region Luhansk noch kontrolliert. Fällt Sjewjerodonezk, wäre der Weg frei zum nächsten Kriegsziel: der vollen Einnahme der Nachbarregion Donezk.

In Brüssel bemühten sich die EU-Staats- und Regierungschefs um eine Einigung auf weitere Sanktionen gegen Russland. Wegen einer Blockade durch Ungarn ist ein vollständiges Öl-Embargo jedoch vorerst vom Tisch. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte in einer Videoschalte von den Gipfelteilnehmern schnell weitere Sanktionspaket. Er wirft Russland einen Vernichtungskrieg vor.

Den Westen hatte das angegriffene Land auch um Mehrfachraketenwerfer gebeten. US-Präsident Joe Biden sagte, sein Land werde der Ukraine keine Raketensysteme mit einer Reichweite bis Russland schicken. Bundeskanzler Olaf Scholz sicherte der Ukraine weiter Unterstützung zu - und zeigte sich von einer Warnung des russischen Präsidenten Wladimir Putin unbeeindruckt.

Russland bereitet laut Ukraine Großangriff auf Slowjansk vor

Die Ukraine rechnet nun mit einem russischen Großangriff auf das Zentrum ihrer Verteidigungskräfte im Donbass im Osten des Landes. Der Raum Slowjansk-Kramatorsk ist der größte Ballungsraum, der noch unter Kontrolle Kiews steht. Hier ist auch das Oberkommando der Streitkräfte im Osten des Landes stationiert. Die russischen Truppen verlegten neue Einheiten nach Slowjansk, um das Gebiet sowohl von Isjum als auch von der kürzlich eroberten Kleinstadt Lyman aus anzugreifen, hieß es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs.

Russischen Kräften gelang es nach ukrainischen Angaben, in die Großstadt Sjewjerodonezk vorzudringen. Der Gouverneur des Gebietes Luhansk berichtete am Montagabend von Straßenkämpfen und hielt die Bewohner der Stadt an, in Notunterkünften zu bleiben. Sjewjerodonezk dient seit der Machtübernahme durch prorussische Separatisten 2014 in Luhansk als neue Gebietshauptstadt.

Ukrainische Behörden berichten über Offensive im Süden

Das ukrainische Militär setzte nach eigenen Angaben seine Offensive an der Grenze zwischen den Gebieten Mykolajiw und Cherson im Süden der Ukraine fort. «Die Lage im Süden ist dynamisch und gespannt», teilte das Oberkommando des ukrainischen Wehrkreises Süd in der Nacht zum Montag mit. Russland ziehe Reserven zusammen und versuche, die Frontlinien im Gebiet Cherson zu befestigen.

Das russische Militär beschoss nach eigenen Angaben eine Werft in Mykolajiw. Mit Luft-, Raketen- und Artillerieangriffen seien zudem Dutzende Kommandopunkte und Gefechtsstände im ostukrainischen Donbass-Gebiet, Fernmeldestellen und zahlreiche Truppenansammlungen vernichtet worden. Diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

EU-Gipfel: Vollständiges Öl-Embargo vorerst vom Tisch

Die Pläne für ein vollständiges europäisches Öl-Embargo sind vorerst vom Tisch. Beim Gipfel in Brüssel zeichnete sich ab, dass sich die 27 EU-Staaten - wenn überhaupt - nur auf ein eingeschränktes Verbot von russischen Öl-Importen einigen. Demnach würden vorerst nur Öl-Lieferungen über den Seeweg unterbunden werden, die Lieferung von Öl aus Russland per Pipeline wäre hingegen weiter erlaubt. Ungarn könnte sich somit weiterhin über die riesige Druschba-Leitung mit Öl aus Russland versorgen.

Das russische Staatsunternehmen Gazprom kündigte an, kein Gas mehr an die Niederlande liefern, weil der Gasimporteur seine Rechnung nicht in Rubel bezahlen will. Große Folgen für Unternehmen und Haushalte werden aber nicht erwartet. Zuvor waren die Energie-Lieferungen bereits für Polen, Bulgarien und Finnland gestoppt worden.

Selenskyj fordert schnelles Sanktionspaket der EU

Selenskyj forderte von der EU, schnell weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen. «Warum kann Russland mit dem Verkauf von Energie immer noch fast eine Milliarde Euro pro Tag verdienen?», fragte Selenskyj per Video. US-Präsident Biden machte deutlich, seine Regierung werde keine Raketensysteme in die Ukraine schicken, die russisches Territorium treffen könnten. Der Fernsehsender CNN hatte berichtet, die US-Regierung erwäge, der Ukraine Mehrfachraketenwerfer mit bis zu 300 Kilometer zur Verfügung stellen.

Scholz will sich von Putin nicht einschüchtern lassen

Am Wochenende hatte Putin in einem Telefonat mit Scholz und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron den Westen vor der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gewarnt. Scholz zeigte sich unbeeindruckt. Man dürfe sich keine Angst machen lassen, sagte der SPD-Politiker den ARD-«Tagesthemen». «Und deswegen werden wir fortfahren mit dem, was wir angefangen haben.» Dazu gehörten neben weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine auch die bessere Ausrüstung der Bundeswehr über das geplante 100-Milliarden-Programm. Deutschland werde «die Ukraine so lange unterstützen, wie das notwendig ist».

© dpa-infocom, dpa:220530-99-476742/12