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Schluss mit den Maskottchen
Mexiko bekämpft seine Junk-Food-Epidemie

Mexiko bekämpft seine Junk-Food-Epidemie
«Kalorienreich», steht auf Chips-Packungen in einem Supermarkt. 70 Prozent der Erwachsenen sowie ein Drittel der Kinder und Jugendlichen sind in Mexiko übergewichtig. Foto: Jair Cabrera/dpa
Eine bereits bestehende Epidemie verschlimmert die Corona-Krise in Mexiko: Viele der Todesopfer mit Sars-CoV-2 hatten Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes. Mit Warnhinweisen und einem Aus für Werbefiguren will das Land das Problem endlich in den Griff bekommen.

Mexiko-Stadt (dpa) - Der Papagei mit den bunten Frühstückszerealien, der Bäckermeister-Bär und die Zeichentrick-Bonbons mit Armen und Beinen: Ihre Tage sind gezählt. Die Junk-Food-Maskottchen, mit denen Generationen von Mexikanern aufgewachsen sind, müssen von den Verpackungen verschwinden.

Das gibt eine neue Verordnung vor, die ab Oktober auch eine Kennzeichnung ungesunder Lebensmittel vorschreibt. Grund ist eine Epidemie, die es in Mexiko schon gab, bevor das Coronavirus hinzukam: Übergewicht, verbunden mit Erkrankungen wie Diabetes. Sie können eine Infektion mit dem Virus schwerer verlaufen lassen.

Bereits 2016 hatte die damalige Regierung die hohen Raten an Übergewicht und Diabetes zum epidemiologischen Notfall erklärt. 70 Prozent der Erwachsenen sowie ein Drittel der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig. Gut jeder zehnte erwachsene Mexikaner hat Diabetes. Nun hat das nordamerikanische Land - das zehntbevölkerungsreichste der Welt - die viertmeisten Covid-19-Todesfälle zu beklagen. Mehr als die Hälfte der gut 76 000 Toten hatte nach offiziellen Zahlen Bluthochdruck, Übergewicht oder Diabetes.

Als eines der größten Übel bei der Ernährung gilt Brause. Nach Angaben des Verbraucherschutzvereins El Poder del Consumidor trinken 70 Prozent der Kinder in Mexiko zuckerhaltige Getränke bereits zum Frühstück. Seit 2014 erhebt das Land eine Steuer von einem Peso (knapp vier Euro-Cent) pro Liter auf mit Zucker gesüßte Getränke. Der Konsum von Cola und Co. ging seitdem zwar zurück, ist in Mexiko aber immer noch mit gut 160 Litern pro Person pro Jahr der höchste der Welt.

Darauf seien mehr als 40.000 Todesfälle pro Jahr - sieben Prozent der Gesamtzahl - zurückzuführen, meint Hugo López-Gatell, der oberste Coronavirus-Experte der mexikanischen Regierung. Wegen chronischer Krankheiten aufgrund schlechter Ernährung sei Mexiko das Land mit der höchsten Sterberate bei jungen Erwachsenen im Zusammenhang mit Covid-19, sagte er bei einer Pressekonferenz im Juli.

Ab Oktober müssen nun auf der Vorderseite verpackter Lebensmittel achteckige, schwarze Warnsymbole stehen, wenn der Inhalt die von der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation empfohlenen Mengen an Kalorien, Zucker, gesättigten oder Trans-Fettsäuren oder Natrium überschreitet. Produkte mit Süßstoff oder Koffein müssen als nicht für Kinder geeignet ausgewiesen werden. Vorbild für die vor einem Jahr beschlossene Maßnahme ist Chile, wo diese Labels vor vier Jahren mit Erfolg eingeführt wurden. Eine einordnende Bewertung, wie es sie bald in Deutschland mit dem Nährwertlogo Nutri-Score geben soll, ist nicht vorgesehen.

Lebensmittel, die mindestens ein solches Warnsymbol verpasst bekommen, sollen zudem nicht mehr - etwa mit Zeichentrickfiguren, Prominenten oder Spielen - speziell an Kinder vermarktet werden dürfen. Zwei Bundesstaaten, Oaxaca und Tabasco, sind kürzlich noch weiter gegangen und haben den Verkauf von Junk Food an Minderjährige verboten.

Jonathan Mateos Chalchi verkauft auf einem Bürgersteig in Mexiko-Stadt allerlei Salziges aus Plastikbottichen in einem dreirädrigen Imbisswagen. Dieser ist mit zwei Totenköpfen dekoriert, die von Jaguaren gefressen werden. «Erdnüsse, Chips, Cheetos, Chicharrones», ruft der 23-Jährige, um seine Waren feilzubieten. Bei letzterem handelt es sich um frittiertes Schweinefett.

«Ja, dieses Essen schadet der Gesundheit, aber man darf halt nicht zu viel davon essen», meint Mateos Chalchi. Zum Übergewichtsproblem in Mexiko trage auch bei, dass viele Menschen auf der Arbeit zu lange säßen und sich nicht genug bewegten. «All diese Maßnahmen machen mir Sorgen», sagt er über die neuen Gesetze. «Das wird für mich harte Auswirkungen haben.»

Nicht nur Straßenverkäufer wie er, sondern auch große internationale Marken sehen ihre Einnahmen gefährdet. Vor Gericht sind die Konzerne mit ihren Einwänden aber bisher gescheitert. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef lobt Mexikos Gesetzesreform als möglicherweise beispielgebend für andere Länder.

Zustande gekommen ist sie unter anderem dank Gruppen wie der Verbraucherschutzorganisation El Poder del Consumidor und deren Chef Alejandro Calvillo. Seit dem Inkrafttreten des nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta im Jahr 1994 - das in diesem Jahr durch das neue Abkommen USMCA ersetzt wurde - habe sich hochverarbeitetes Industrie-Essen immer mehr gegen die traditionelle mexikanische Kost aus den Hauptzutaten Mais und Bohnen durchgesetzt, sagt er. Auch auf dem Land und in indigenen Gemeinden habe die Ernährung einen Wandel erlebt. «In den entlegensten Ecken des Landes gibt es kein Trinkwasser, wohl aber Brause.»

© dpa-infocom, dpa:200930-99-764936/3