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Volksabstimmung in Russland
Russlands Schlacht um den «ewigen Putin»

Protest gegen den «ewigen Putin»
Weil Straßenproteste wegen des Coronavirus verboten sind, stellen Kremlgegner Plakate und Flugblätter im Internet zum Ausdrucken bereit. Foto: Ulf Mauder/dpa
Die Operation Machtsicherung für Kremlchef Wladimir Putin steuert auf ihr Finale zu. Eine Volksabstimmung in Russland soll darüber entscheiden, ob der 67-Jährige noch weitere zwölf Jahre im Amt bleiben kann. Aber der Widerstand ist groß und wächst.

Moskau (dpa) - Ella Pamfilowa will für Kremlchef Wladimir Putin nichts dem Zufall überlassen. Die 66 Jahre als Chefin der russischen Wahlkommission schlägt die wohl härteste Schlacht des Präsidenten in seinen 20 Jahren an der Macht.

Fast täglich versichert sie, dass die Volksabstimmung über Putins womöglich dauerhaften Verbleib im Amt unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen ablaufe. Vor allem die Coronavirus-Gefahr ist groß. Hygiene stehe deshalb beim Referendum vom 25. Juni bis 1. Juli an erster Stelle. «Masken, Handschuhe und sogar Einmal-Kugelschreiber gibt es für alle», sagt Pamfilowa.

Sauberkeit war schon immer ein Thema bei Wahlen in Russland. Bei den Ergebnissen von Präsidenten- und Parlamentswahlen beklagten internationale Beobachter immer wieder schmutzige Tricks. Auch diesmal werden Fälschungen befürchtet. Weil insgesamt sieben Tage abgestimmt wird und die Anti-Coronavirus-Regeln streng sind, gilt eine Beobachtung fast als unmöglich, wie russische Beobachter meinen. Und auch die gerade gestartete Werbe-Kampagne zum Referendum gilt längst als eine der schmutzigsten überhaupt in Russland.

Das Staatsfernsehen wirbt ganz offen in den Hauptnachrichten für das neue Grundgesetz. Moderator Kirill Klejmjonow vom Ersten Kanal spricht von «unserem Präsidenten» Wladimir Wladimirowitsch. Im Internet häufen sich Videos, die Angst machen sollen vor einem Nein zu der von Putin angestoßenen Verfassungsänderung. Da gibt es Clips von Ärzten, die heldenhaft gegen das Coronavirus kämpfen - samt Appell, für die Verfassung zu stimmen, damit das Gesundheitssystem erhalten bleibt.

Ein anderer Clip zeigt ein schwules Paar, das einen tieftraurigen Jungen adoptiert und ihm ein Kleid schenkt - mit dem Aufruf, Russland vor solchen Zuständen zu bewahren. Die Plattform Youtube sperrte das Video, weil es Hass verbreite. Putin hat im Grundgesetz die Ehe zwischen Mann und Frau verankern lassen. Solange er regiere, werde es nie eine gleichgeschlechtliche Ehe in Russland geben, versprach er. Bis 2036 könnte er an der Macht bleiben nach der Verfassungsänderung.

Und um nichts anderes als die «ewige Herrschaft» geht es dem 67-Jährigen, wie Politologen und Oppositionelle überzeugt sind. Das ganze Verfahren sei im Grunde illegal, kritisierte der Politologe Kirill Rogow. Demnach hätte über jede einzelne Änderung der Verfassung einzeln abgestimmt werden müssen.

Beim Referendum nun soll alles glatt laufen. Bürger können sich die Wahlurnen nach Hause bestellen. Möglich sind vereinzelt teils elektronische Abstimmungen oder Stimmabgaben an einem Ferienort. Ihre Pässe müssen die mit Gesichtsmasken geschützten Wähler bei der Stimmabgabe nur aus zwei Metern Entfernung zeigen. Auch hier beklagen Beobachter fehlende Kontrolle.

«Das ist keine Abstimmung, kein Referendum, sondern eine Show, die Wladimir Putin braucht», sagt die Oppositionspolitikerin Ljubow Sobol in Moskau. Putin brauche den Urnengang, damit er anschließend dem Volk «die Schuld an der Verfassungsänderung» zuschieben könne. Die Moskauer Lokalpolitikerin Julia Galjamina veröffentlichte ein von 200 Abgeordneten aus 26 Regionen Russlands unterzeichnetes Protestschreiben gegen den «Verfassungsumsturz».

«Wir rufen alle russischen Bürger auf, öffentlich ihre Ablehnung des Machtmissbrauchs zu zeigen», heißt es da. Die Verfassung zerstöre die Grundfesten des Staates. Ohne Machtwechsel gebe es keine Entwicklung. «Wir spüren die Unterstützung der Mehrheit der Bürger.» Galjamina stört sich nicht zuletzt daran, dass besonders ältere Menschen beim Referendum der Corona-Infektionsgefahr ausgesetzt würden. Die Verfassung verspricht Rentnern eine jährliche Anpassung ihrer Bezüge.

Weil Straßenproteste wegen der Pandemie seit Monaten verboten sind, bricht sich der Zorn im Internet Bahn. In der Kampagne «Njet!» - «Nein dem ewigen Putin» - bietet die Opposition auf einer Plattform fertige Protest-Flugblätter und Plakate zum Ausdrucken an. Es gibt eine Online-Petition mit Zehntausenden Unterschriften gegen Putins Pläne. Die Zustimmungswerte des Präsidenten sinken seit längerem. Und deshalb, so heißt es, wolle er nun rasch die Abstimmung durchziehen, bevor sich die Wirtschaftskrise weiter vertiefe.

An den Kremlmauern prallt dieser wachsende Widerstand ab. Putin hatte die neue Verfassung ohnehin schon unterschrieben. In Kraft setzen will er sie aber erst, wenn es eine Mehrheit bei der Volksabstimmung gibt. Dabei werden offiziell aus der Verfassung nur die Versprechen sozialer Wohltaten hervorgehoben - und nie die Operation Machtsicherung in Artikel 81 des Grundgesetzes.

Viel beachtet wird nun in Russland ein Bekenntnis des im Grunde systemtreuen Designers Artemi Lebedew. Der warb gerade noch in einem Clip der Staatsmedien mit anderen Prominenten für die Verfassung. Als er aber entdeckte, dass im Grundgesetz ein Sonderpassus Putins bisherige vier Amtszeiten - bei zwei erlaubten - auf Null setzt, sei er entsetzt gewesen. «Ich habe nichts dagegen, dass Putin solange Zar bleibt, bis er zur Mumie wird», meinte er. «Aber ich bin dagegen, dies in der Verfassung festzuschreiben.»

"Njet!"-Kampagne für ein Nein von Putins dauerhaftem Verbleib an der Macht

Umfrage zur Verfassungsänderung des unabhängigen Lewada-Zentrums

Umfrage zur Verfassungsänderung beim staatlichen Meinungsforschungsinstitut Wziom

Moskauer Lokalpolitikerin Julia Galjamina

Die neue russische Verfassung