1. Startseite
  2. Überregionales
Logo

Waffenexporte am Pranger
Saudi-Arabien räumt gewaltsamen Tod Kashoggis ein

Mehr als zwei Wochen lang hatte Saudi-Arabien dementiert, nun gibt die Regierung dem internationalen Druck nach: Der kritische Journalist Jamal Khashoggi sei im Konsulat in Istanbul getötet worden - bei einem Faustkampf. Darf man in so ein Land noch Waffen schicken?

Riad/Istanbul (dpa) - Auf massiven Druck hin hat Saudi-Arabien die Tötung des regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi im Istanbuler Konsulat eingeräumt.

Vorläufige Ergebnisse zeigten, dass es zwischen Khashoggi und mehreren Personen zu einer tödlichen Schlägerei gekommen sei, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Spa. 18 saudische Staatsangehörige seien deshalb festgenommen worden, zudem seien zwei Berater des Kronprinzen Mohammed bin Salman entlassen worden: der Vizechef des Geheimdienstes, Ahmed al-Asiri, sowie der für Medienangelegenheiten zuständige Saud bin Abdullah al-Kahtani. Die Ermittlungen zu der «bedauerlichen und schmerzhaften» Entwicklung liefen, hieß es weiter.

Mit der Stellungnahme versucht die saudische Regierung offenbar, den Kronprinzen aus dem Fokus der Kritik zu nehmen. Eine Verbindung zu der Bluttat könnte dem 33-Jährigen, der als starker Mann des Wüstenstaats gilt, schaden. Saudische oder den Saudis nahe stehende Medien berichteten unter Verweis auf Sicherheitskreise dann auch, der Thronfolger habe von einer Operation im Konsulat nichts gewusst. Laut türkischen Medienberichten, die sich auf Audioaufnahmen stützen, wurde Kashoggi gefoltert, getötet und sein Leichnam zerstückelt.

US-Präsident Donald Trump begrüßte die Festnahmen in Saudi-Arabien, hält den Fall aber noch nicht für restlos aufgeklärt. «Es ist nur ein erster Schritt, aber es ist ein großer erster Schritt», sagte er. Trump wollte öffentlich keine Zweifel an der Darstellung Saudi-Arabiens zum Tod Khashoggis äußern, betonte aber: «Wir haben einige Fragen.» Er wolle deshalb mit dem Kronprinzen sprechen. Kashoggi hatte auch Kolumnen für die «Washington Post» verfasst.

In Deutschland sollen die umfangreichen Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien auf den Prüfstand kommen. «Nach so einem unfassbaren Vorgang gehört das deutsche Verhältnis zu Saudi-Arabien auf den Prüfstand», sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil der Deutschen Presse-Agentur. «Dazu gehören auch Rüstungsexporte.» Es gebe die Verabredung in der Koalition mit CDU/CSU, Exportrichtlinien restriktiver zu gestalten. Das müsse Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angehen.

Allerdings hatte SPD-Außenminister Heiko Maas zuletzt einen kritischeren Kurs seines Vorgängers Sigmar Gabriel (SPD) gegenüber Saudi-Arabien korrigiert. Gabriel hatte der Führung der ölreichen Monarchie vor knapp einem Jahr «Abenteurertum» im Nahen Osten vorgeworfen, woraufhin Riad seinen Botschafter aus Berlin abzog. Dieser kehrte erst vor wenigen Tagen zurück, nachdem Maas Bedauern über «Missverständnisse» geäußert hatte.

Saudi-Arabien ist in diesem Jahr bisher nach Algerien der zweitgrößte Kunde der deutschen Rüstungsindustrie: Bis zum 30. September erteilte die Regierung Exportgenehmigungen im Wert von 416,4 Millionen Euro. Die Grünen fordern einen Stopp der Waffenexporte nach Saudi-Arabien.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte sich «zutiefst beunruhigt» über den gewaltsamen Tod Kashoggis und kondolierte dessen Familie. «Der Generalsekretär verweist auf die Notwendigkeit einer sofortigen, gründlichen und transparenten Untersuchung der Todesumstände», sagte sein Sprecher Stephane Dujarric.

Die Bundesregierung verurteilte am Samstag die Tötung Khashoggis «in aller Schärfe». «Von Saudi-Arabien erwarten wir Transparenz im Hinblick auf die Todesumstände und die Hintergründe», heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD). Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. «Die vorliegenden Angaben zu den Abläufen im Konsulat in Istanbul sind nicht ausreichend.»

Der im US-Exil lebende Regierungskritiker Khashoggi hatte am 2. Oktober das saudische Konsulat in Istanbul betreten, um Papiere für seine Hochzeit mit einer Türkin abzuholen - und verschwand. Türkische Regierungs- und Geheimdienstkreise streuten die These, Khashoggi sei im Konsulat gefoltert und zerstückelt worden - Riad hatte diese Vorwürfe zunächst vehement bestritten. Medienberichten zufolge ist die türkische Regierung im Besitz von Audio- und Videoaufnahmen, die nachweisen sollen, dass Khashoggi schwer gefoltert worden sei.

Kurz vor der Bestätigung von Khashoggis Tod telefonierten der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und der saudische König Salman miteinander, wie aus einem in der Nacht veröffentlichten Bericht der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu hervorgeht. Erdogan und Salman hätten über die Wichtigkeit gesprochen, bei den Ermittlungen zu kooperieren.

Der Agentur Spa zufolge war «der Verdächtige» - dessen Identität nicht aufgeklärt wird - nach Istanbul gereist, um Khashoggi zu treffen. Es habe Anzeichen gegeben, dass dieser möglicherweise zurück nach Saudi-Arabien habe gehen wollen. Das Treffen im Konsulat sei nicht «wie erwartet» verlaufen, am Ende sei Khashoggi tot gewesen. Die Täter hätten danach versucht, die Tat zu vertuschen.

Zudem wurde nach Angaben von Spa der Vizepräsident des Geheimdienstes, Ahmed al-Asiri, auf Befehl des Königs von seinem Posten entbunden. Al-Asiri gilt als enger Vertrauter von Kronprinz Mohammed bin Salman. Es gab zuletzt Spekulationen, dass der General in einer vom Königshaus verbreiteten Version der Ereignisse als der Schuldige an der Tat dargestellt werden sollte. Auch ein weiterer enger Berater von Kronprinz Mohammed, der für Medien zuständige Saud bin Abdullah al-Kahtani, wurde demnach vom König entlassen.

Die «Washington Post» hatte vor einigen Tagen unter Berufung auf Geheimdienstquellen berichtet, Al-Asiri sei ein «möglicher Sündenbock». Er habe Thronfolger Mohammed in der Vergangenheit wiederholt vorgeschlagen, «etwas gegen Khashoggi und andere zu unternehmen». Spa zufolge wurden noch mindestens drei weitere hochrangige Geheimdienstmitarbeiter entlassen. Der Geheimdienst solle nun insgesamt neu aufgestellt werden - dieser Prozess solle vom Kronprinz selbst überwacht werden.

Das vage Eingeständnis aus Riad dürfte auch auf den wachsenden Druck Trumps zurückgehen, einem der wichtigsten Verbündeten des Königshauses. Trump hatte zuletzt eine «schwere Bestrafung» für den Fall angekündigt, dass Saudi-Arabien für Khashoggis Tod verantwortlich sein sollte.

Der republikanische US-Senator Lindsay Graham meldete Zweifel an der Darstellung Riads an. «Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass ich der neuen saudischen Schilderung zum Tod Herrn Khashoggis skeptisch gegenüberstehe», teilte Graham auf Twitter mit. Der US-Kongressabgeordnete Eric Swalwell forderte Saudi-Arabien auf, den Verbleib der Leiche Khashoggis aufzuklären.

Saudi-Arabien hatte sein Vorgehen gegen Kritiker in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Zahlreiche Aktivisten, Kleriker, Geschäftsleute oder Frauenrechtler eingesperrt. Auch außenpolitisch tritt die Monarchie unter dem Thronfolger deutlich aggressiver auf.

UN-Mitteilung

Spa-Bericht

Jamal Khashoggi - der Mann, den Riad fürchtete

Der tote Journalist, der Kronprinz und die Sündenböcke

Deutsche Rüstungsexporte nach Khashoggi-Drama am Pranger