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EU-Treffen in Versailles
Scholz bremst Ukraines Hoffnung auf schnellen EU-Beitritt

EU-Gipfel in Versailles
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (l) empfängt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Schloss in Versailles. Foto: Kay Nietfeld
EU-Gipfel in Versailles
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, nimmt an der ersten Arbeitssitzung der Staats- und Regierungschefs der EU im Schloss von Versailles teil. Foto: Kay Nietfeld
EU-Gipfel in Versailles
Emmanuel Macron empfängt Ursula von der Leyen in Versailles. Foto: Kay Nietfeld
Je länger der Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert, desto größer werden auch die Differenzen innerhalb der EU. Bröckelt die Geschlossenheit?

Versailles. Mit dem Andauern des russischen Kriegs gegen die Ukraine wachsen die Spannungen zwischen den EU-Staaten über den weiteren Kurs der Europäischen Union.

Bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs im Schloss von Versailles bei Paris machten Länder wie Lettland am Donnerstag deutlich, dass sie die deutsche Ablehnung eines Stopps von Energieimporten aus Russland für nicht mehr tragbar halten.

Zudem lagen die Meinungen darüber auseinander, wie mit dem Antrag der Ukraine auf einen möglichst schnellen EU-Betritt umgegangen werden soll. Auch dabei stand Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Seite jener, die bremsen.

Scholz lehnt Stopp der Energieimporte ab

Unter Druck stand Scholz allerdings vor allem wegen seiner Ablehnung eines Einfuhrstopps für Öl, Gas und Kohle aus Russland. «Ich bin überzeugt, dass wir die Entscheidung treffen sollten, Energieimporte aus Russland zu stoppen, um (den russischen Präsidenten Wladimir) Putin zum Verhandlungstisch zu bringen und den Krieg zu beenden», sagte der lettische Premierminister Krisjanis Karins. Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, betonte: «In diesem Moment der Krise müssen wir uns daran erinnern, dass Energie politisch ist - und es schon immer war.» Man müsse eine klare Botschaft senden und die russischen Exporte beschränken.

Beide stellten sich damit auf die Seite von Ländern wie Polen und Litauen, die sich bereits für einen solchen Schritt ausgesprochen hatten. Damit soll dem russischen Staat seine Haupteinnahmequelle für die Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine genommen werden. Schätzungen der Brüsseler Denkfabrik Bruegel zufolge geben die EU-Staaten zur Zeit täglich rund 420 Millionen Dollar (380 Millionen Euro) für russisches Gas aus, und knapp 400 Millionen Dollar (362 Millionen Euro) für Öl aus Russland. Das liegt vor allem daran, dass Länder wie Deutschland, Österreich und Ungarn erhebliche Teile ihres Energiebedarfs über Lieferungen aus Russland decken.

Scholz hatte dazu am Montag erklärt: «Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie kann im Moment nicht anders gesichert werden.» In Versailles sagte er, man bedenke bei den Sanktionen sehr präzise, wie man die russische Regierung davon überzeugen könne, dass sie den Krieg beendet. Gleichzeitig gehe es darum sicherzustellen, dass die Auswirkungen in Europa möglichst gering seien. «Diesen Kurs sollten wir auch weiter verfolgen», sagte er. Im Entwurf der Gipfel-Erklärung hieß es nur allgemein, man sei bereit, schnell mit weiteren Sanktionen zu handeln.

Unter anderem der Krieg hatte auch zu rasant gestiegenen Energiepreisen in der EU geführt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte nun an, eine vorübergehende Deckelung vorzuschlagen. Sie habe das Mandat, bis Ende März Optionen für Notfallmaßnahmen vorzulegen, die auch vorübergehende Preislimits beinhalten, teilte die Politikerin während des Gipfels mit. Es geht demnach darum, die «Ansteckungseffekte» zwischen den Gaspreisen und den Strompreisen zu begrenzen.

Diskussionen über EU-Beitritt

Deutliche Spannungen zeigten sich beim Gipfel auch bei der Frage, wie mit dem ukrainischen Wunsch nach einer schnellen Aufnahme in die EU umgegangen werden soll. So erteilte der niederländische Premier Mark Rutte dem Anliegen eine klare Absage. «Einen beschleunigten Beitritt, so etwas gibt es nicht», sagte er. Sein luxemburgischer Amtskollege, Xavier Bettel, sagte, er sei kein Regelfetischist, aber es gebe Bedingungen für einen EU-Beitritt. Bundeskanzler Scholz äußerte sich ähnlich. «Es ist ganz wichtig, dass wir die Dinge, die wir ja auch in der Vergangenheit beschlossen haben, weiter verfolgen», sagte er.

Im Entwurf der Gipfel-Erklärung hieß es zwar, die Ukraine gehöre zur europäischen Familie. Konkrete Zusagen mit Blick auf einen schnellen EU-Beitritt wurden jedoch nicht gemacht. Dabei warben Länder wie Estland und Litauen eindringlich dafür. Die estnische Premierministerin Kaja Kallas sagte der «Süddeutschen Zeitung», in ihren Augen gebe es die moralische Pflicht, «diesen Menschen ihren europäischen Traum möglich zu machen».

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte angesichts des russischen Krieges kürzlich die Mitgliedschaft in der EU beantragt. Der EU-Beitritt ist allerdings ein langer und komplizierter Prozess. Doch die Ukraine hofft auf Tempo. «Wir wollen keinen Freifahrtschein. Aber wir wollen, dass das in einem Eilverfahren geschieht, innerhalb von wenigen Jahren», sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, der Deutschen Presse-Agentur.

Auswirkungen auf Wirtschaft in der EU

Ein weiteres brisantes Thema beim zweitägigen Gipfel war der Umgang mit Auswirkungen des Krieges auf die wirtschaftliche Entwicklung in der EU. So hat Frankreich die Idee ins Spiel gebracht, wie schon in der Corona-Krise ein schuldenfinanziertes Unterstützungsprogramm zu beschließen. Dieses könnte demnach helfen, die Folgen des aktuellen Energiepreisanstieges abzufedern, aber auch Investitionen in Verteidigungsprojekte zu fördern. Länder wie Deutschland und die Niederlande halten dies zum derzeitigen Zeitpunkt für nicht notwendig und verweisen darauf, dass erst einmal das 800 Milliarden Euro schwere Corona-Hilfspaket aufgebraucht werden sollte.

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi zeigte sich hingegen offen für den französischen Vorschlag. «Italien und Frankreich sind auch auf dieser Front vollständig auf einer Linie», sagte Draghi.

© dpa-infocom, dpa:220310-99-467146/8