1. Startseite
  2. Überregionales
Logo

Angriff auf die Ukraine
Schulterschluss der westlichen Welt gegen Putins Krieg

Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht während einer Plenarsitzung des Europäischen Parlaments. Foto: Jonas Roosens
Sollte der russische Präsident Wladimir Putin darauf gesetzt haben, mit dem Angriff auf die Ukraine Europa und den Westen zu spalten, hat er sich verrechnet. Offen ist, wie lange die Einigkeit hält.

Berlin. Europa und große Teile der westlichen Welt stellen sich mit einem breiten Schulterschluss dem verschärften Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Ukraine entgegen.

In Berlin forderte Kanzler Olaf Scholz (SPD) erneut einen sofortigen Stopp des Angriffs. «Das Blutvergießen muss ein Ende haben. Wladimir Putin vergeht sich am ukrainischen Volk», sagte er am Dienstag bei einem Auftritt mit Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte in einer Sondersitzung des Europaparlaments: «Wir sind geeinter denn je.»

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) flog nach New York, wo sie am späten Abend bei der Dringlichkeitssitzung der Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) für eine breite Verurteilung des russischen Angriffs werben wollte. «Wenn es um Krieg und Frieden geht, ist Heraushalten keine Option. Die Welt wird sich noch lange daran erinnern, wo wir heute gestanden haben», sagte Baerbock nach Angaben des Auswärtigen Amtes bei ihrer Abreise. Möglichst viele Staaten der Welt müssten «Farbe bekennen: Für den Frieden und das Recht.»

Westliche Staaten hoffen, dass in der UN-Vollversammlung möglichst viele der 193 Mitgliedsländer den Krieg Russlands verurteilen und damit die weltweite Isolation der russischen Führung sichtbar machen. Minimalziel ist es, die Stimmen für eine Resolution von 2014 zu übertreffen, die ein russisches Referendum auf der Krim für ungültig erklärte. Damals hatten 100 Mitgliedsstaaten für den Text votiert.

Scholz: Wird jetzt noch eine dramatische Zeit werden

Scholz zeichnete ein düsteres Bild der Lage - und stellte die Bürgerinnen und Bürger auf Schlimmeres ein. «Die Ukraine kämpft buchstäblich um das Überleben.» Die russischen Truppenbewegungen seien umfassend. «Deshalb dürfen wir uns nichts vormachen: Das wird jetzt noch eine ganz, ganz dramatische Zeit werden.» Die Bilder mit vielen Toten, Verletzten und Zerstörungen «werden nur ein Anfang sein von dem, was wahrscheinlich noch kommt».

Europäische Union - «Geeinter denn je»?

Die EU wird oft genug als Club zerstrittener Staaten beschrieben, in dem, wenn es hart auf hart kommt, doch jeder nur an sich denkt. In der Ukraine-Krise steht die EU erstaunlich geschlossen - und wirft eine Gewissheit nach der anderen über Bord. In nie da gewesener Geschwindigkeit haben die 27 Länder härteste Sanktionen beschlossen. Und zwar in Abstimmung mit Partnern wie den USA oder Großbritannien.

«Wenn Putin versucht hat, die EU zu spalten, die Nato zu schwächen und die internationale Gemeinschaft zu zerschlagen, so hat er genau das Gegenteil erreicht», sagte von der Leyen am Dienstag. «Wir sind geeinter denn je.» Ehrengast war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der für seinen emotionalen Appell per Live-Video stehende Ovationen erhielt. Erneut forderte er den EU-Beitritt seines Landes.

Da fangen dann wieder die Differenzen in der EU an. Denn die Staaten sind angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine zwar eng zusammengerückt. Doch gibt es weiter tiefe Meinungsverschiedenheiten - etwa mit Blick auf die EU-Perspektive der Ukraine. Auch bei den Sanktionsbeschlüssen ruckelte es teils heftig, zum Beispiel beim geplanten Swift-Ausschluss russischer Banken. Und die Schweiz musste lange dazu gedrängt werden, sich den EU-Sanktionen anzuschließen.

Draghi und Bettel: Für Sanktionen - aber auch für Dialog

Europäische Spitzenpolitiker wie der italienische Ministerpräsident Mario Draghi oder der Luxemburger Bettel hoben die Geschlossenheit des Westens hervor, forderten aber auch eine Wiederaufnahme des Dialogs mit Moskau. Draghi sagte im Senat in Rom: «Vielleicht hatte uns Putin für ohnmächtig, zerstritten oder berauscht von unserem Reichtum gehalten. Er hat sich geirrt.» Um zum Frieden zu gelangen, brauche es den Dialog. «Aber ich habe das Gefühl, dass der Moment dafür noch nicht da ist», gab er sich desillusioniert.

Bewährungsprobe für die Nato

An den transatlantischen Schalten war immer auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg beteiligt. Für das Militärbündnis ist Putins Krieg eine Bewährungsprobe. Zugleich könnte die Angst vieler Menschen vor einer Ausweitung des Kriegs aber wohl für eine neue Daseinsberechtigung der Nato mit ihrer kollektiven Verteidigung sorgen. «Wir werden jeden Zentimeter des Nato-Gebiets schützen und verteidigen», sagte Stoltenberg am Dienstag. Eine militärische Intervention in der Ukraine schloss er jedoch weiter aus.

US-Regierung nennt Putin einen der größten Einiger der Nato

Auch nach Einschätzung der US-Regierung hat der russische Angriff zum Schulterschluss innerhalb der Nato und anderer westlicher Verbündeter geführt. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, nannte Putin am Montagabend «einen der größten Einiger der Nato in der modernen Geschichte». Sie fügte hinzu: «Was Sie hier sehen, ist ein geeintes Europa, ein geeinter Westen, eine geeinte Nato, die sich gegen die von Präsident Putin angeführte Aggression und Invasion wehren.»

UN: Dutzende Länder verlassen bei Lawrow den Saal

Auch beim UN-Menschenrechtsrat in Genf zeigten viele Länder Flagge. Aus Protest gegen den russischen Angriffskrieg verließen die deutsche Botschafterin Katharina Stasch und Dutzende weitere Delegationen vor der Rede des russischen Außenministers Sergej Lawrow den Saal. «Der Menschenrechtsrat darf nicht als Plattform für Desinformation missbraucht werden», sagte Stasch anschließend. «Die grotesken Behauptungen von Außenminister Lawrow müssen als das bloßgestellt werden, was sie sind: eine zynische Verdrehung der Tatsachen.»

Lawrow, der per Videolink zugeschaltet war, verlas eine Erklärung, in der er den Angriff auf die Ukraine mit Menschenrechtsverletzungen auf ukrainischer Seite rechtfertigte.

© dpa-infocom, dpa:220301-99-342793/2