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Illegale Erdgaserkundungen
Türkei bleiben harte EU-Sanktionen vorerst erspart

Forschungsschiff «Oruc Reis»
Das türkische Forschungsschiff «Oruc Reis» ankert vor der Küste. Die Türkei steht vor allem wegen umstrittener Erdgaserkundungen in Seegebieten vor Zypern und in der Nähe griechischer Inseln in der Kritik. Foto: Ibrahim Laleli/DHA/AP/dpa
Die Türkei kommt beim EU-Gipfel in Brüssel mit einem blauen Auge davon. Die Drohkulisse mit harten Wirtschaftssanktionen wird aber aufrechterhalten. Kanzlerin Merkel räumt ein, dass die Hoffnung auf einen türkischen Kurswechsel bislang nichts gebracht hat.

Brüssel (dpa) - Der Türkei bleiben harte EU-Sanktionen vorerst erspart. Trotz anhaltender Konfrontation ebneten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf ihrem Gipfel in Brüssel lediglich den Weg für neue Strafmaßnahmen gegen einzelne Personen und Unternehmen.

Sie sollen weitere Beteiligte an der umstrittenen türkischen Suche nach Erdgas vor Zypern treffen. Dazu gehören Einreiseverbote in die Mitgliedsstaaten der EU sowie Vermögenssperren.

Weitreichendere Schritte wie Sanktionen gegen ganze Wirtschaftszweige oder ein EU-Waffenembargo wurden in der Nacht zum Freitag hingegen nicht beschlossen. Entsprechende Forderungen von Ländern wie Griechenland, Österreich oder Frankreich fanden im Kreis der 27 nicht die erforderliche einstimmige Unterstützung. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wertete dies als Erfolg. «Der Gipfel hat (...) nicht die erhoffte Antwort auf die Erwartungen einiger Länder gegeben», sagte er. «Denn ihre Forderungen waren nicht berechtigt.»

Vom Tisch sind schärfere Sanktionen allerdings nicht. Dem Beschluss zufolge wird beim nächsten regulären EU-Gipfel am 25. und 26. März erneut über die Beziehungen zur Türkei beraten. Bis dahin sollen EU-Kommission und Auswärtiger Dienst Handlungsoptionen für eine mögliche Ausweitung von Strafmaßnahmen vorlegen. Das weitere Vorgehen soll zudem eng mit der neuen Regierung in den USA unter dem künftigen Präsidenten Joe Biden abgestimmt werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schloss nach dem Gipfel nicht aus, dass auch der deutsche Rüstungsexportstopp gegen die Türkei ausgeweitet werden könnte. Sie verwies aber darauf, dass zunächst der Bericht des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zu einer möglichen Ausweitung von EU-Sanktionen abgewartet werden solle.

Die Türkei steht vor allem wegen umstrittener Erdgaserkundungen in Seegebieten vor Zypern und in der Nähe griechischer Inseln in der Kritik. Als nicht akzeptabel gelten aber auch Provokationen im Konflikt um die Teilung Zyperns sowie Verstöße gegen das UN-Waffenembargo gegen Libyen und die Einmischung in den Konflikt um Berg-Karabach.

Wegen Bohrungen vor Zypern hatte die EU schon im Februar Einreiseverbote und Vermögenssperren gegen zwei Manager des türkischen Energiekonzerns TPAO verhängt. Wegen der Erdgaserkundungen in von Griechenland beanspruchten Meeresgebieten gibt es bislang aber noch keine Strafmaßnahmen. Als ein Grund gilt, dass dort bislang keine Probebohrungen vorgenommen wurden.

Der Einigung ging eine wochenlange Debatte voraus. Länder wie Frankreich, Griechenland und Zypern dringen eigentlich auf einen möglichst harten Kurs mit schmerzhaften Sanktionen bis hin zur Aussetzung der Zollunion. Länder wie Deutschland sind aber überzeugt, dass die Türkei als Partner nicht verprellt werden sollte - auch wegen ihrer Bedeutung im Kampf gegen illegale Migration.

Merkel sagte als Vertreterin der aktuellen deutschen EU-Ratspräsidentschaft, man reiche der Türkei weiter die Hand, auch für eine «konstruktive Agenda». Zugleich räumte sie ein, dass es der Bundesregierung nicht gelungen sei, die türkische Regierung zu einem Kurswechsel zu bewegen. «Das war aus dem Blickwinkel der deutschen Ratspräsidentschaft doch etwas enttäuschend», sagte sie. «Wir hatten uns hier etwas mehr vorgenommen, das will ich ganz offen sagen.»

Das Angebot einer «konstruktiven Agenda» könnte sich nach dem Gipfelbeschluss unter anderem auf die Bereiche Wirtschaft und Handel und die weitere Zusammenarbeit in Migrationsfragen erstrecken. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Türkei bereit ist, «Differenzen im Dialog und im Einklang mit dem Völkerrecht» zu lösen.

Ähnlich wie die Bundesregierung sieht auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Lage. Er warnte die EU kurz vor dem Gipfel vor einem Bruch mit dem Bündnispartner. Es gebe Differenzen, die man angehen müsse. Gleichzeitig müsse man aber erkennen, welche Bedeutung die Türkei als Teil der Nato und auch als Teil der «westlichen Familie» habe. So sei das Land ein wichtiger Alliierter im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Zudem beherberge die Türkei von allen Nato-Verbündeten die meisten Flüchtlinge.

© dpa-infocom, dpa:201211-99-649735/5