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USA drohen dem NATO-Mitglied
Umstrittene russische Raketenabwehr in Türkei angekommen

Flugabwehrsystem S-400
Das Flugabwehrraketensystem S-400 wird auf dem syrischen Flugplatz Hmeimim entladen. Foto: Russian Defence Ministry Press Service
Luftwaffenstützpunkt Hmeimim
Das S-400-Flugabwehrsystem auf dem syrischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim. Foto: Foto: Russian Defence Ministry
Russsiches Flugabwehrsystem S-400
Ein russisches Flugabwehrsystem S-400 fährt während einer Militärparade auf dem Roten Platz. Foto: Yuri Kochetkov/EPA/Archiv
Parade in Moskau
Auf dem Roten Platz in Moskau: Lastwagen der russischen Streitkräfte mit dem Flugabwehrsystem S-400. Foto: Yuri Kochetkov/epa
Monate des Streits mit Washington gingen voraus. Jetzt ist das russische Waffensystem S-400 in Ankara angekommen. Drohen der Türkei jetzt Strafmaßnahmen?

Ankara/Moskau (dpa) - Die Türkei hat gegen den Widerstand der USA die ersten Lieferungen des umstrittenen russischen Raketenabwehrsystems S-400 angenommen.

Verteidigungsministerium und Präsidialpalast bestätigten, dass ein erstes Flugzeug auf einer Luftwaffenbasis in Ankara gelandet sei. Kurz darauf kamen TV-Berichten zufolge zwei weitere Frachtmaschinen an. Damit steuert der derzeit schärfste Konflikt mit den USA auf einen Höhepunkt zu. Die US-Regierung ist strikt gegen den Einsatz des russischen Systems im Luftraum des Nato-Partners und droht mit Sanktionen. Die Nato zeigte sich besorgt.

Die S-400 ist ein mobiles Luftabwehrsystem, das Flugzeuge, Geschosse und andere Objekte aus dem Himmel schießen kann. Die Einheiten, die üblicherweise aus mehreren Raketen, einem Radar und einem Gefechtsstand bestehen, können per Lastwagen transportiert werden. Die S-400 kann mit Kurz-, Mittel- und Langstrecken-Raketen arbeiten.

Die Türkei argumentiert, sie brauche eine eigene Raketenabwehr gegen Bedrohungen aus dem benachbarten Bürgerkriegsland Syrien, aber auch aus dem Inland. Seit dem Putschversuch von 2016 ist die türkische Führung extrem auf Sicherheit fokussiert. Die Regierung in Washington befürchtet dagegen, dass Russland über die empfindlichen Radare des russischen Waffensystems an Daten über die Fähigkeiten der neuen US-Tarnkappenflugzeuge F-35 gelangt. Die Türkei ist Partner beim Bau der F-35 und soll etwa 100 Jets bekommen.

Die USA drohen nun damit, die Türkei Ende Juli aus dem F-35-Programm zu werfen. Der geschäftsführende US-Verteidigungsminister Mark Esper sagte am Freitag, die Position der USA in Bezug auf das F-35-Programm habe sich nicht geändert. Er kündigte an, am Nachmittag (Ortszeit) mit seinem türkischen Kollegen Hulusi Akar sprechen zu wollen. Außerdem könnten Sanktionen unter dem CAATSA-Gesetz («Countering America's Adversaries through Sanctions») auf die Türkei zukommen. Das zielt auf Geschäfte mit dem russischen Rüstungssektor ab und beinhaltet zum Beispiel Verbote zu Immobilientransaktionen.

Für die Türkei wären Sanktionen gefährlich, weil sie über die Einzelmaßnahme hinaus das Vertrauen von Investoren weiter untergraben würden. 2018 hatten US-Sanktionen wegen eines in der Türkei festgehaltenen US-Pastors die türkische Währung schwer belastet.

Ob es zu Strafmaßnahmen kommt, hängt unter anderem von US-Präsident Donald Trump ab. Der hätte die Macht, Sanktionen auf Eis zu legen und hatte bei einem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Erdogan Verständnis für dessen Argumente gezeigt. Sprecher des Pentagons und des Außenministeriums sagten aber auch kurz vor der Auslieferung des System noch, die Türkei müsse mit Konsequenzen rechnen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu gab sich unbeeindruckt. Man sei dabei, die Genehmigungen für weitere Flüge auszustellen, sagte er in einem kurzen TV-Interview. «Es gibt kein Problem.» Das Verteidigungsministerium ging sogar demonstrativ an die Öffentlichkeit und veröffentlichte auf Youtube ein Video der Lieferung, das per Luftaufnahme vornehmlich schwere Fahrzeuge zeigte.

Verteidigungsminister Hulusi Akar äußerte sich angesichts der internationalen Aufmerksamkeit und der Sorge vor einer Verschärfung der Affäre beschwichtigend. Man denke auch darüber nach, auch das US-Patriots-Raketenabwehrsystem zu kaufen, sagte er. Das dürfte der Türkei aber nur helfen, wenn sie die S-400 nicht einsatzbereit macht.

Die USA hatten der Türkei die Patriots in den vergangenen Monaten mehrfach anstelle der S-400 angeboten. Die türkische Regierung hatte aber bisher argumentiert, das US-Angebot sei nicht so gut wie das russische. Ankara gab auch an, dass man sich früher mehrfach um Patriots bemüht habe, ohne sie zu bekommen - ein Argument, dem sich Präsident Trump nach seinem Gespräch mit Erdogan teilweise anschloss.

Dem Staatssender TRT zufolge soll die Türkei «vier Batterien» der Raketenabwehr bestellt haben. In Russland freut man sich über das Geschäft mit einem Nato-Staat. Russland sei bereit, die Zusammenarbeit mit der Türkei noch auszubauen, sagte der Verteidigungsexperte Franz Klinzewitsch im russischen Föderationsrat.

Wo die S-400 eingesetzt werden, war noch unklar. Im Gespräch waren Medien zufolge die Hauptstadt Ankara selbst, aber auch die Grenze zu Syrien. Der Zeitung «Cumhuriyet zufolge soll das System schon ab September einsatzbereit sein.

Die Nato warnte die Türkei aber erneut davor, die S-400 «zu stationieren». «Wir sind besorgt angesichts der möglichen Konsequenzen», sagte ein Sprecher in Brüssel. Es sei unabdingbar, dass die Nato-Streitkräfte multinational zusammenarbeiten könnten. Die USA hatten eine Einschränkung der Zusammenarbeit mit der Türkei nicht ausgeschlossen, wenn sie das russische System S-400 einsetzt.

Die Türkei hat in den vergangenen Wochen oft versucht, die Sorgen zu beschwichtigen. Außenminister Cavusoglu sagte wiederholt, das System werde nur im Notfall eingesetzt. In der «Cumhuriyet» hieß es, die S-400 werde nicht mit anderen Systemen vernetzt. Dabei geht es auch um die vernetzte Luftabwehr der Nato.

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