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Report zu rasanter Eisschmelze
Weltklimarat warnt: Küsten und Inseln verschwinden weltweit

Ansteigende Meeresspiegel
Die ostfriesische Insel Langeoog im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Durch den raschen Anstieg des Meeresspiegels könnten Küstenstreifen und Inseln bald unbewohnbar werden. Foto: Ingo Wagner
Flut in Tuvalu
Kinder spielen auf einem vom Meerwasser überfluteten Platz in Funafuti, der Hauptstadt des pazifischen Inselstaats Tuvalu. Foto: Kyodo/Archiv
Eisschollen in der Artkis
Auf dem Arktischen Ozean am Nordpol schwimmen Eisplatten. Das Eis schmilzt und der Meeresspiegel steigt. Die Erderwärmung hat massive Auswirkungen auf Eismassen und Ozeane. Foto: Ulf Mauder
«Polarstern»
Auf dem Forschungsschiff «Polarstern» lassen sich Wissenschaftler ein Jahr lang im Packeis der zentralen Arktis einfrieren. Foto: Mohssen Assanimoghaddam
Eisberg in der Antarktis
Ein Eisberg, der vom Forschungsschiff «Xue Long» aus fotografiert wurde, im Südpolarmeer. Foto: Liu Shiping/XinHua
Sand für den Küstenschutz
Ein Schiff mit Sand zur Erhöhung der Warften wird am Anleger der Hallig Hooge entladen. Foto: Carsten Rehder
«Polarstern» im Eis
Das deutsche Forschungsschiff «Polarstern» in der Antarktis. Foto: Stephan Schoen/Alfred-Wegener-Institut, AWI
Für tot erklärt
Der 700 Jahre alte isländische Gletscher Okjökull gilt formell nicht mehr als solcher. Mit nur noch 15 Metern Eisdicke ist er zu leicht geworden, um sich vorwärts zu schieben. Foto: Felipe Dana/AP
Isländischer Gletscher Okjökull
Links: Luftaufnahme des damals noch existierenden Okjökull-Gletschers aus dem Jahr 1986. Rechts: Vom geschrumpften Gletscher ist im August 2019 nur ein kleiner Fleck aus Eis übrig. Foto: AP
Eisbär
Ein Eisbär steht im Nordpolarmeer auf eine Eisscholle. Die von Meereis bedeckte Fläche in der Arktis wird immer kleiner. Foto: Ulf Mauder
Kanadische Arktis
Ein Eisberg treibt in der kanadischen Arktis im Meer. Archivbild: Kay Nietfeld Foto: Kay Nietfeld
Hilfeschrei
Hilfeschrei: Mohamed Nasheed, Staatsoberhaupt der Malediven, im Jahr 2009 bei der weltweit ersten Unterwasser-Kabinettssitzung einer Regierung. Foto: epa Foto: dpanitf3
Das ewige Eis oder der Ozean - für viele ist das weit weg. Doch wenn sich die Erde erwärmt, schmelzen die Eisschilde von Grönland und der Antarktis und lassen den Meeresspiegel steigen. Das hat erhebliche Konsequenzen. Experten sind alarmiert.

Monaco (dpa) - Der Meeresspiegel steigt doppelt so schnell wie im vergangenen Jahrhundert, ganze Küstenstreifen könnten unbewohnbar werden und Wetterkatastrophen werden extremer.

Mit diesen Aussagen hat der Weltklimarat IPCC der Politik in seinem am Mittwoch in Monaco vorgestellten Report zur Eisschmelze und den Ozeanen ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Er zeichnet darin eine düstere Zukunft, wenn nicht schnell etwas unternommen wird.

Der Rat rechnet mit Hunderten Millionen Flüchtlingen wegen steigender Meeresspiegel. Die Welt müsse die Emission der Treibhausgase unverzüglich drastisch reduzieren, mahnte er Vorsitzende des Weltklimarates, Hoesung Lee in Monaco.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass 280 Millionen Menschen bei einer Erderwärmung von zwei Grad Celsius in niedrig liegenden Millionenstädten und Inselstaaten wegen Überflutung und heftiger Stürme ihre Heimat verlieren könnten.

Der deutsche Klimaforscher und Mitautor des Berichts, Jochen Hinkel, mahnt allerdings zur Vorsicht bei diesen Zahlen. Reiche Regionen wie Großstädte könnten sich etwa mit Schutzmauern schützen, sagt der Experte. Anders sehe es in ärmeren Regionen aus. «Besonders Inseln oder niedrig gelegene Küstenbereiche werden langfristig wohl aufgegeben. Das gilt aber nicht für Megastädte an der Küste», so Hinkel.

Insbesondere in der Antarktis sieht der Bericht eine Gefahr durch die beschleunigte Eisschmelze, falls das Eis einmal irreversibel instabil werde. Das könnte den Meeresspiegel innerhalb von Jahrhunderten um mehrere Meter steigen lassen.

Es sei noch unsicher, ob und wann dies beginne. Gleichzeitig würden durch die Veränderungen im Ozean extreme Wetterereignisse wie Stürme und Hochwasser häufiger und stärker, sagte die Co-Vorsitzende des Klimarats, Valérie Masson-Delmotte.

Der Bericht des Klimarats zeigt außerdem auf, dass die durchschnittliche Stärke von Wirbelstürmen zunimmt. Viele Küsten-Megastädte und kleine Inseln müssen mit extremen Wetterereignissen rechnen, die eigentlich nur einmal im Jahrhundert auftreten. Bis 2050 können diese in vielen Regionen sogar einmal jährlich stattfinden.

Nur eine starke Reduzierung der Treibhausgase, der Schutz der Ökosysteme und der bedachte Umgang mit den natürlichen Ressourcen können eine dramatische Entwicklung eindämmen, so die Experten. «Was wir sehen, ist, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel einen großen Einfluss auf die Systeme hat, von denen wir abhängig sind», sagte Debra Roberts, ebenfalls IPCC-Co-Vorsitzende. Sie betonte die «Dringlichkeit rechtzeitiger, ehrgeiziger und koordinierter Maßnahmen».

In manchen Regionen wie den Tropeninseln und Küsten ist die Existenz ganzer Gemeinschaften auch ohne eine instabile Antarktis durch Überschwemmungen bedroht. In Küstenregionen bis zu zehn Metern Höhe wohnen laut IPCC 680 Millionen Menschen. Auf kleinen Inselstaaten sind es 65 Millionen. Vier Millionen Menschen leben dauerhaft in der Arktis, deren Eis und Permafrostböden in vielen Gebieten tauen.

In Bergregionen werden durch das Schmelzen der Gletscher und das Auftauen dort bestehender Permafrostböden Lawinen, Steinschläge oder Bergrutsche begünstigt. In Hochgebirgsregionen leben 670 Millionen Menschen. Sind die Gletscher schließlich ganz verschwunden, ist die Trinkwasserversorgung gefährdet. Aktuell wächst die Sorge um einen gefährdeten Gletscher am Mont Blanc. Auf italienischer Seite drohen wegen steigender Temperaturen Teile des Planpinceux-Gletschers abzustürzen.

Das Auftauen der Permafrostböden setzt nicht nur Treibhausgase frei, sondern hat auch erhebliche Auswirkungen auf Mensch und Natur. «Es kann sein, dass man jetzt Jahrzehnte vor sich hat, in denen sich die Bodenoberfläche ungleichmäßig absenkt. Das ist natürlich wahnsinnig problematisch für Bauwerke», erklärt der Glaziologe und IPCC-Autor Stephan Gruber.

Der Meeresspiegel steigt dem Report zufolge immer schneller an: Der Anstieg sei mit 3,6 Millimeter pro Jahr derzeit doppelt so hoch wie im Schnitt des 20. Jahrhunderts. Während er im gesamten 20. Jahrhundert um 15 Zentimeter geklettert sei, könnte er bei einer starken Erhöhung der Treibhausgase von Anfang des 20. Jahrhunderts bis 2100 um rund einen Meter steigen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief Bürger und Firmen zu einem Bewusstseinswandel auf. «Wir brauchen also Verhaltensänderungen in allen Bereichen, beim Konsumieren, beim Produzieren, bei der Mobilität und bei der Ernährung genauso wie beim Städtebau», sagte sie in Berlin. Die EU-Kommission reagierte auf den alarmierenden Bericht mit der Forderungen, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen.

«Es ist nicht die Zeit zu sagen, Titanic, und lass uns noch den letzten Cocktail trinken. Sondern wir können handeln», sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze in Berlin. Im Norden Deutschlands rechnen Landespolitiker mit höheren Kosten beim Küstenschutz durch den steigenden Meeresspiegel.

Der Klimareport zeige, dass die Maßnahmen der Politik völlig unzureichend seien, sagte Heike Vesper, Leiterin Meeresschutz beim WWF Deutschland. Der Oxfam-Klimaexperte Jan Kowalzig mahnt, dass sich wegen « der verantwortungslos schwachen Ziele, die sich die meisten Länder unter dem Pariser Abkommen gesetzt haben», die Welt auf eine Erwärmung um drei bis vier Grad zu bewege. «Auch Deutschland trägt dazu bei.» Umso schlimmer sei es daher, dass Deutschland trotz des Klimapakets aller Voraussicht nach das gesteckte Klimaschutzziel für 2030 verpassen werde.

Mehr als 130 Forscher aus 36 Ländern hatten zwei Jahre lang Studien zu diesen Themen analysiert und die Auswirkungen des Klimawandels auf Küsten und Inseln, Mensch und Natur in einem Report zusammengefasst. Über dessen Formulierungen hatten Delegierte der 195 IPCC-Mitgliedstaaten mehrere Tage debattiert und abgestimmt.

Infos zum Report

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Angesichts der Erderwärmung gründeten zwei UN-Organisationen 1988 den Weltklimarat IPCC, der inzwischen fast 200 Mitgliedsländer hat. Er soll aufzeigen, wie sich der Klimawandel auf Mensch und Natur auswirkt, wie er gebremst werden kann und welche Anpassungsstrategien es gibt.

Das Gremium mit Sitz in Genf forscht nicht selbst. Vielmehr werten für die jeweiligen IPCC-Berichte eigens ausgewählte Forscher aktuelle Studien aus. Für den IPCC-Report zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Eismassen und Ozeane haben rund 130 Forscher zwei Jahre lang über 7000 Fachartikel analysiert, die Ergebnisse auf vielen Seiten aufgeschrieben und dann zusammengefasst.