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Entscheidung der Grünen vor Ostern: Ampel oder Grün-Schwarz

Dritte Sondierungsgespräche der Grünen mit der CDU
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Christoph Schmidt/dpa
Der Countdown läuft: Mitte der Woche werden die grünen Wahlsieger um Kretschmann entscheiden. Wollen sie wirklich ein Ampel-Experiment in Baden-Württemberg wagen? Für die CDU wäre das ein weiterer schwerer Schlag.
Stuttgart.

Stuttgart (dpa) - Die Grünen in Baden-Württemberg haben die Vorgespräche mit CDU sowie SPD und FDP für eine neue Regierung beendet und wollen vor Ostern ihre Partner für Koalitionsverhandlungen bestimmen. «Wir versuchen vor Ostern die Entscheidung hinzubekommen», sagte Kretschmann nach Ende der Sondierung am Samstagabend in Stuttgart. Der 72-jährige Regierungschef ließ aber offen, ob der derzeitige Koalitionspartner CDU oder SPD und FDP mit ihren Bemühungen um ein Ampel-Bündnis bessere Karten haben. Allerdings gibt es dem Vernehmen nach sowohl im Landesvorstand als auch in der Fraktion eine Tendenz zur Ampel. Wie die dpa erfuhr, ist die CDU den Grünen aber zum Beispiel beim wichtigen Thema Klimaschutz stark entgegengekommen.

Kretschmann kündigte an, die grüne Verhandlungsgruppe werde sich am kommenden Mittwoch treffen und die Gespräche bewerten. Danach muss das Team, zu dem neben Kretschmann die Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand sowie Fraktionschef Andreas Schwarz gehören, im Vorstand eine Empfehlung geben und dann wird dort entschieden. Alle drei möglichen Partner seien sehr an einer Zusammenarbeit interessiert, sagte der Regierungschef.

Am Samstag hatten sich die Grünen erstmals mit SPD und FDP zu einer Dreier-Runde im Haus der Architekten in Stuttgart getroffen. Am späteren Nachmittag ging es mit der CDU erneut um die Chancen für eine Neuauflage von Grün-Schwarz.

KOMMUNIKATION: Auch bei der dritten Sondierungsrunde war vor allem die Ampel das große Gesprächsthema. Grund: Es wäre ein Experiment und zudem äußern sich alle drei potenziellen Partner - zumindest in Andeutungen - zum Verlauf der Gespräche. Dagegen hat CDU-Landeschef und Innenminister Thomas Strobl eine Art Nachrichtensperre verhängt. Kretschmann hatte CDU, SPD und FDP gebeten, über den Inhalt der Treffen zu schweigen. Und obwohl der Regierungschef dies selbst aufgeweicht hat, hält sich die CDU strikt daran, wie eine Episode vom Samstagabend zeigt: Kretschmann und Strobl kamen nach vierstündigen Gesprächen gemeinsam aus der Tür, doch der CDU-Mann erklärte: «Wir dürfen nix sagen.» Darauf Kretschmann: «A bissle schon.» Strobl reagierte mit: «Das machst Du.» Zu den Journalisten: «Der Ministerpräsident steht ihnen zur Verfügung». Abgang Strobl.

Dagegen wird bei den separaten Auftritten von SPD und FDP vielsagend gelächelt und es gibt ähnlich lautende Statements: SPD-Landeschef Andreas Stoch sagte, es gebe bei den drei potenziellen Ampel-Partnern in vielen Themen «Übereinstimmungen». «Wir haben das Gefühl, dass das Ganze auf die Zielgerade mündet», sagte Stoch. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke erklärte, es gebe keine inhaltlichen Gräben: «Es wurden überall Brücken gefunden.» Landeschef Michael Theurer sagte: «Leicht wird es nicht, aber wir würden es wagen.»

GROSSWETTERLAGE: Seit der Landtagswahl vor zwei Wochen hat sich die politische Großwetterlage deutlich verändert: Die Union scheint wegen Maskenaffäre und Corona-Krisenmanagement in Umfragen im freien Fall, die Grünen im Bund wittern Chancen aufs Kanzleramt. Schon jetzt hätte eine grün-geführte Ampel in Umfragen eine Mehrheit im Bund. Was heißt das für Kretschmann und seine Koalition? Unzweifelhaft scheint: Wenn er die stark geschwächte CDU in die Wüste schicken und stattdessen eine Ampel bilden würde, wäre das ein starkes Signal, sechs Monate vor der Bundestagswahl: Seht her, wir Grünen brauchen die Union zum Regieren nicht. Zwar gibt es in Rheinland-Pfalz schon ein Ampel-Dreierbündnis, aber unter Führung der SPD.

Nur: Der wertkonservative Kretschmann hat mitten in der Corona-Krise eigentlich wenig Lust auf Experimente. «Die Zahlen steigen und mir brennt der Kittel», sagte der 72-Jährige am Samstag. Kretschmann will einen verlässlichen Partner. Bei «Markus Lanz» hat er kürzlich durchblicken lassen, wie er eine Ampel mit Sozialdemokraten und Liberalen fände: «Erlebnispsychologisch wäre es sicher interessant.» Übersetzt könnte das heißen: Das wäre ein schönes Theater, ständig alles mit drei Parteichefs, drei Fraktionsvorsitzenden und den wichtigsten Ministern die gemeinsame Linie abzustimmen.

VERLÄSSLICHKEIT: Es geht bei Koalitionen immer auch um die Chemie zwischen den handelnden Personen. Die CDU hat nach ihrer Wahlschlappe Strobl nominiert, um in Gesprächen mit Kretschmann die grün-schwarze Koalition zu retten. Der 61-jährige Heilbronner war in den vergangenen fünf Jahren Kretschmanns Vertrauter in der CDU. Dem Vernehmen nach hat die Union in der Sondierung klargemacht, dass man sehr genau wisse, wer die Wahl gewonnen hat und dass die CDU nur der Juniorpartner sein könne. Anders als 2016, als Grüne und CDU nur gut drei Punkte auseinander waren und fast auf Augenhöhe. Gleichwohl ist in der Landes-CDU auch ein Umbruch im Gange. Die Forderung nach einer «inhaltlichen und personellen Erneuerung» macht die Runde. Für die Grünen stellt sich deshalb die Frage: Bleibt es fünf Jahre bei dem von Strobl zugesagten zugewandten Stil?

Vor den Ampel-Gesprächen hatte es bei den Grünen viele Fragezeichen gegeben, wie sich Fraktionschef Rülke verhalten würde, der früher Grüne und SPD oft kritisiert hatte. Der 59-jährige Pforzheimer sagte am Samstag, es sei nun klar, dass eine solche Koalition «nicht an atmosphärischen Störungen noch scheitern könnte». Doch ganz geheuer ist insbesondere den eher Linken bei den Grünen der Liberale immer noch nicht. Der CDU-Sozialflügel nahm diese Zweifel am Wochenende auf und warnte, die Liberalen an einer Regierung zu beteiligen. «Die FDP in Baden-Württemberg hat sich in den letzten Jahren immer wieder als AfD light positioniert: Gegen Flüchtlinge, gegen den Klimaschutz und den Lockdown», sagte CDU-Landeschef Christian Bäumler. «In der Landesregierung hätte die FDP praktisch ein Vetorecht gegen alle Corona-Maßnahmen.»

© dpa-infocom, dpa:210327-99-997242/4