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«Geht nicht ohne Blut aus»: Prozess um Attacke bei Demo

Prozess um Schläge und Tritte bei Corona-Demo
Polizisten sichern den Vorplatz vor dem Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Aktuell
Drei Männer treffen sich, wollen auf eine Demo gehen. Plötzlich stürzen sich Dutzende Vermummte auf sie. Der Angriff dauert nur Sekunden, dann liegen sie auf dem Boden, teils lebensgefährlich verletzt. Was steckt hinter der Attacke?
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - Dass es bei diesem Prozess um mehr geht als um einen brutalen Angriff am Rande einer Demo, um mehr als «nur» um Körperverletzung und versuchten Totschlag, das spürt man schon vor dem Gerichtsgebäude. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart haben sich am frühen Montagmorgen Dutzende Vermummte versammelt, ihre Schals, Masken und Kapuzenpullis tief ins Gesicht gezogen. «Gegen Nazis» steht auf ihrem knallrotem Banner, darauf eine Faust, die ein Hakenkreuz zerschlägt. Die Antifa ist aufmarschiert. Ein paar Meter weiter stehen ein paar Vertreter der rechtspopulistischen gewerkschaftsähnlichen Organisation «Zentrum Automobil». Die Lage ist angespannt. Dazwischen ein älterer, etwas verwirrt wirkender Herr, der sich als Papst verkleidet hat und schreit: «Gottlose Querdenker sind Querschläger, Amen».

Zwei junge Männer, die der linken Szene zugerechnet werden, sitzen in Stuttgart auf der Anklagebank, weil sie gemeinsam mit einer Gruppe Vermummter am 16. Mai 2020 drei Männer brutal zusammengeschlagen haben sollen. Einem Angeklagten wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen, dem anderen gar versuchter Totschlag, weil er seinem Opfer gegen den Kopf geschlagen und dessen Tod zumindest billigend in Kauf genommen haben soll - der Mann lag im Koma, schwebte zeitweise in Lebensgefahr.

Es geht hier um politische Gewalt. Die sei nicht schön, aber manchmal notwendig, sagt der Sprecher der antifaschistischen «Solidaritätskampagne» vor dem Gericht. «Da wurden nicht irgendwelche Leute angegriffen.»

Es sind beängstigende Szenen, die da am Montag von der Anklage geschildert werden. Die drei Männer trafen sich demnach am Stuttgarter Mercedes-Benz-Museum, um gemeinsam zum Gelände des Cannstatter Wasens zu laufen. Sie arbeiten bei Daimler, sind Betriebsrats-Mitglieder vom «Zentrum Automobil», bezeichnen sich selbst als «alternative Gewerkschaft». Sie sollen Berichten zufolge enge Kontakte zur rechtsextremen Szene haben. Das Trio wollte an dem Tag im Mai gegen die Corona-Regeln demonstrieren, die «Querdenken»-Bewegung war damals im Aufwind, Tausende nahmen teil. Er lebe eben nicht gerne in einer Diktatur, sagt einer der Verprügelten, der als Nebenkläger im Prozess sitzt.

Plötzlich biegen 20 bis 40 Vermummte um die Ecke. Sie tragen Sturmmasken und Schals, sind mit Schlagringen und Flaschen bewaffnet, wie die Staatsanwaltschaft berichtet. Der schwarze Block rennt auf die drei Männer zu, prügelt sie zu Boden. Pfefferspray wird versprüht, Schläge und Tritte gegen den Kopf ausgeteilt, Flaschen sollen fliegen, ein Mann berichtet von einem dumpfen Knall. Dann verschwinden die Vermummten wieder. Alles geht ganz schnell.

Die Angreifer seien als Gruppe vorgegangen, um so die Identifikation Einzelner zu erschweren und um Dritte einzuschüchtern, sagt die Staatsanwältin. Was genau passiert ist, lässt sich am Dienstag auch nur mühsam rekonstruieren. Zunächst sagt ein 46-Jähriger aus Esslingen aus, einer der drei Männer, die verprügelt und verletzt wurden. Der Mann trägt ein blaues T-Shirt mit einem Wolf und einem Mond darauf. Er spricht immer wieder von den «linken Antifaschisten», die seien «im Stechschritt formiert» auf ihn zugekommen. «Da war mir klar, das geht nicht ohne Blut aus.» Er sei weggerannt, aber sie hätten ihn erwischt, ihn gegen den Kopf geschlagen, Pfefferspray habe man ihm in die Augen gesprüht. «Das war ein gezielter Angriff», ist er überzeugt. Er gibt der «IG-Metall-Riege» die Schuld, die steckten mit der Antifa unter einer Decke.

Der Angriff hatte auch politisch für Aufregung gesorgt. Allerdings lehnten Grüne, CDU, SPD und FDP im vergangenen Sommer einen von der AfD beantragten Untersuchungsausschuss zum Angriff deutlich ab. Anfang Juli hatten die Ermittler bei Razzien in sieben Städten Zimmer und Wohnungen von Anhängern der linken Szene durchsucht.

Eigentlich sollte der Prozess bereits vor einer Woche beginnen, wegen eines Corona-Ausbruchs in der JVA Stuttgart konnte der Angeklagte nicht erscheinen. Die beiden Angeklagten weisen die Vorwürfe zurück, wollen aber sonst keine Angaben machen. Der eine sitzt noch in Haft. Als er in den Saal geführt wird, macht er ein «Victory-Zeichen» mit der Hand und lächelt. Der andere ist nach einem halben Jahr in Untersuchungshaft wieder auf freiem Fuß. Es könnten nicht die letzten sein. Laut Staatsanwaltschaft gibt es weitere Täter, gegen die ermittelt wird.

© dpa-infocom, dpa:210425-99-347753/8

Mitteilung der Polizei zum Angriff

Mitteilung der Staatsanwaltschaft zur Anklage

Landgericht Stuttgart