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Geistheiler sagt im Mordprozess aus

Justitia-Statue
Eine Bronzeplastik der römischen Göttin der Gerechtigkeit, Justitia. Foto: picture alliance/dpa/Symbolbild
Warum nur? Die Gründe für die Bluttat eine Familienvaters bleiben auch am zweiten Tag des Karlsruher Mordprozesses im Dunkeln. Ein Geistheiler versuchte kurz vor der Tat, psychische Probleme mit Koran-Versen zu lösen.
Tiefenbronn.

Karlsruhe (dpa/lsw) - Die Verzweiflung muss groß gewesen sein: Dem Mann geht es nicht gut, Ärzte können nicht helfen, er schläft nicht mehr und äußert Suizid-Gedanken. Wenige Tage, bevor er in Tiefenbronn (Enzkreis) fast seine ganze Familie auslöscht, überredet ihn seine Frau zu einem gemeinsamen Besuch bei einem Geistheiler. Der schildert am Mittwoch vor dem Landgericht Karlsruhe seine Behandlungsmethode: Er habe Koran-Verse auf einen Zettel geschrieben und in eine Flasche mit Wasser gesteckt. Das sollte der Mann trinken. In drei Wochen, so machte er dem Ehepaar Hoffnung, könnten sich Erfolge einstellen.

Kurz darauf, am 25. Mai vergangenen Jahres, tötet der heute 61-jährige Familienvater im gemeinsamen Haus seine 38 Jahre alte Frau und den achtjährigen Sohn. Der elfjährige Sohn überlebt die Gewalttat nur knapp. Die Opfer haben schwere Schnitt- oder Stichverletzungen.

Die Frage nach dem «warum» steht auch am zweiten Tag im Mittelpunkt des Karlsruher Mordprozesses. «Meine Frau und die Kinder waren das Wichtigste in meinem Leben», hatte der Angeklagte in einer von seiner Anwältin verlesenen Erklärung zum Prozessauftakt betont. Es habe weder Streit noch Trennungsabsichten oder finanzielle Sorgen gegeben. Er erwähnte aber psychische Probleme.

Zeugen bestätigen die äußerlich heile Welt der gut situierten Familie. «Es war eine ganz normale Ehe», sagt der Bruder der getöteten Frau. Er habe nie einen Streit zwischen den Eheleuten mitbekommen. Zu den Kindern sei sein Schwager immer gut gewesen. «Er hat alles für sie gemacht.» Der überlebende Elfjährige wohnt inzwischen bei dem Onkel und der Oma. Auf den Gesundheitszustand seines Neffen befragt, bricht er in Tränen aus: Die äußeren Wunden seien verheilt, es gehe im besser, er gehe ins Gymnasium. Doch der Junge sei sehr ängstlich und zurückgezogen.

Was zur Bluttat führte, können sich weder Angehörige noch der Kompagnon erklären, mit dem der Angeklagte zwei erfolgreiche Strahlentherapiepraxen in Niefern und Böblingen samt Dependance in Leonberg aufgebaut hat. Vor Jahren habe es zwar in der Ehe heftig gekriselt, nachdem seine Frau bemerkt hatte, dass der Angeklagte Escort-Damen aufsuchte und sich Porno-Seiten im Internet ansah. Nach einer Paartherapie sei die Beziehung aber wieder stabilisiert gewesen.

Das ehemals freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Geschäftsinhabern sei seit Jahren allerdings «konfliktbeladen» gewesen. Der Angeklagte habe versucht, ihn aus dem Geschäft zu drängen, erzählt der ehemalige Klinik-Oberarzt. Er beschreibt den 61-Jährigen als «Kontrollfreak», vor dem Mitarbeiter Angst gehabt hätten. Angst bekam auch dessen erste Frau: Als sie ihn wegen Affären verlassen wollte, habe er sie so sehr gewürgt, dass sie Striemen am Hals gehabt habe, berichtet ein Polizist.

Seine zweite Frau, die nun getötete Mutter der beiden Söhne, wird von Zeugen als selbstbewusst geschildert. Die angeschlagene Gesundheit ihres Mannes, zwei Einbrüche und wiederholt unerklärlich platte Reifen in der Familie - waren das Gründe, an einen «Fluch» zu glauben und auf die Hilfe eines Geistheilers zu hoffen? Der Angeklagte machte nach eigenen Angaben die «bizarre Angelegenheit» nur mit, weil er so am Ende gewesen sei.

Der Geistheiler, im normalen Leben Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes und türkischstämmig wie die getötete Ehefrau, erinnert sich an einen Mann, der in seinem Wohnzimmer «wie apathisch» an seiner Frau gehangen habe. «Psychisch war der völlig fertig.» Eigentlich hätte er keine Zeit gehabt. Er habe aber die Bitte der Frau nicht abschlagen können. Im Nachhinein, so sagte er vor Gericht, sei dies ein «Fehler» gewesen. Die Frau des Geistheilers behauptet: Sie habe dem Angeklagten geraten, eine Klinik aufzusuchen. Der habe «nein» gesagt.

Der Prozess wird an diesem Freitag (9.00 Uhr) fortgesetzt. Ein Urteil wird am 10. März erwartet (Az.: 1Ks 90 Js 6590/19).

Pressemitteilung der Polizei dazu vom 28. Mai 2019