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Gewalt hinter Gittern: Angriffe auf Bedienstete nehmen zu

Gefängnis
Der Schattenriss eines Mannes ist in der Justizvollzugsanstalt in einer Tür zu sehen. Foto: Felix Kästle/Archiv
Volle Zellen, wenig Personal, aggressive Häftlinge: Gefängnisse im Südwesten stoßen wegen Überbelegung an ihre Grenzen. Das wirkt sich auf den Alltag hinter Gittern aus.
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - Immer häufiger kommt es in den Gefängnissen im Südwesten zu schweren Angriffen auf Justizmitarbeiter. Im vergangenen Jahr zählte das Justizministerium in den Anstalten des Landes 34 Angriffe auf 44 Bedienstete - der höchste Stand mindestens seit dem Jahr 2010. Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage des AfD-Landtagsabgeordneten Lars Patrick Berg hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Erfasst wurden demnach nur ernste Angriffe, die eine Dienstunfähigkeit zur Folge hatten. In den Jahren 2010 und 2011 wurden jeweils 10 solcher Angriffe auf Bedienstete gezählt, 2012 und 2013 jeweils 9. In den Folgejahren waren es 16, dann 26, dann 32 und 22.

Immer wieder kommt es auch zu Gewalt unter Gefangenen. Das Ministerium berichtet in dem Schreiben von 64 vorsätzlichen Misshandlungen unter Gefangenen allein im vergangenen Jahr. 2017 waren es 87 Fälle. Erfasst wurden dabei Verdachtsfälle der Misshandlung, wenn diese mit erheblichen Folgen wie einer Arbeitsunfähigkeit verbunden waren.

Einen Grund für die Probleme sieht das Ministerium in dem Mangel an Haftplätzen beziehungsweise in der Überbelegung der Anstalten. Nachdem die Gefangenenzahlen über Jahre hinweg gesunken waren, stiegen sie nach Angaben des Ministeriums seit dem Jahreswechsel 2015/2016 wieder an. Das führt die Behörde auch auf den Flüchtlingszuzug zurück. Kriminalität hängt Experten zufolge von diversen Faktoren ab - etwa von sozialen Verhältnissen, Bildungsstand oder Geschlecht. Mit den Geflüchteten ist naturgemäß auch ein gewisser Anteil an Kriminellen nach Deutschland gekommen.

Besonders im geschlossenen Männervollzug ist die Lage angespannt. Dort übersteigt die tatsächliche Belegung mit 6362 Gefangenen derzeit die rechnerische Belegungsfähigkeit von 6066 Haftplätzen (Stichtag: 31. Januar 2019). Dabei gilt bereits eine Auslastung von 90 Prozent der Haftplätze im Justizvollzug als Vollbelegung. Die Reserve ist nötig, um gewisse Gruppen - etwa gefährliche oder bedrohte Gefangene - trennen und kurzfristige Belegungsspitzen bewältigen zu können.

Die Zahl der Gefangenen im Männervollzug steigt nach Angaben des Justizministeriums seit Jahren. Derzeit fehlten 1000 Haftplätze für männliche Straftäter.

Die Übergriffe auf die Justizbediensteten seien Folge der gestiegenen Gewaltbereitschaft in den Justizvollzugsanstalten des Landes, sagte Justizminister Guido Wolf der Deutschen Presse-Agentur. Überbelegung, Sprachbarrieren und eine zunehmend schwierige Klientel «sorgen hier für große Spannungen, die sich jederzeit in Gewalt entladen können.» Umso mehr müsse das Personal weiter verstärkt werden. «Mittelfristig muss unser Ziel im Justizvollzug sein, dass unsere Bediensteten niemals alleine, immer zu zweit ihren Dienst unter den Gefangenen tun.»

Das Ministerium reagiert nach eigenen Angaben auf die Überbelegung mit der Umverteilung von Gefangenen auf weniger stark belastete Anstalten. Außerdem werden Hafträume mit mehr Gefangenen belegt. Man versuche die sogenannte Haftplatzverdichtung «in den wenigen Justizvollzugsanstalten umzusetzen, die über noch einzeln belegte und hinreichend große Hafträume mit abgetrennter Toilette verfügen», heißt es in der Antwort auf die AfD-Anfrage.

Die Belegung der Justizvollzugsanstalt Offenburg sei so etwa von 483 auf 540 Gefangene erhöht worden. Um neue Haftplätze zu schaffen, seien zudem zahlreiche Bau- und Sanierungsmaßnahmen im Gang. Mit dem Neubau der Justizvollzugsanstalt Rottweil schaffe man allein 500 Haftplätze - das Gefängnis könne aber nicht vor dem Jahr 2026 in Betrieb genommen werden.

Der Strafvollzug sei auf die gemeinsame Unterbringung während der Arbeit und der Freizeit ausgerichtet. Gewalt unter Gefangenen und gegen Bedienstete seien daher nicht vollständig zu verhindern, teilte ein Sprecher des Ministeriums mit. Neben bereits existierenden vorbeugenden Maßnahmen wie Anti-Gewalt-Trainings seien Aufklärungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für Gefangene geplant.

Der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Berg, sieht das Land angesichts der zunehmenden Gewalt hinter Gittern «in der Sorgfaltspflicht, sowohl Bedienstete als auch Gefangene vor Gewalt zu schützen». Das Zahlenverhältnis von Gefangenen zum Personal müsse korrigiert werden. Berg forderte auch die konsequente Abschiebung ausländischer Straftäter.

Justizvollzug in Baden-Württemberg