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Kretschmann wendet sich gegen Nationalismus in Europa

Winfried Kretschmann
Winfried Kretschmann (Bündnis 90 / Die Grünen), Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Foto: Guido Kirchner/Archiv
Wer würde schon ein gebrochenes Bein mit Schwefelsäure behandeln? Ministerpräsident Kretschmann nutzt den Vergleich, um für ein geeintes Europa zu werben: Nationalismus sei keineswegs eine Lösung für die Probleme auf dem Kontinent.
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich gegen den aufkommenden Nationalismus in Europa gewandt. Beim Neujahrsempfang der grün-schwarzen Landesregierung am Freitag in Stuttgart räumte er zwar ein, dass es Probleme in Europa gebe und die Herausforderungen groß seien. «Doch dass ausgerechnet der Nationalismus die Lösung für diese Probleme sein soll, das wäre noch vor wenigen Jahrzehnten jedem in Europa als völlig abwegig vorgekommen», sagte er laut vorab verbreiteter Mitteilung.

Die Probleme mit Nationalismus kurieren zu wollen, sei so schlau, wie ein gebrochenes Bein mit konzentrierter Schwefelsäure zu behandeln. «Der Bruch wäre anschließend verschwunden, aber das Bein auch.» Besorgt zeigte er sich angesichts der Entwicklung in Großbritannien, das die Europäische Union voraussichtlich am 29. März verlassen wird. «Großbritannien ist einer unserer wichtigsten Handelspartner. Gerade die Automobilindustrie ist stark mit Großbritannien verflochten.» In Baden-Württemberg sind unter anderem Daimler und Porsche zu Hause.

Ein ungeregelter Brexit wäre nach Auffassung des Regierungschefs gravierend. Vielleicht bräuchten die Briten auch offene Arme, wenn sie es sich doch noch anders überlegten. «Auch aus ihrem eigenen Interesse sollten die Briten vielleicht ihre eigene Entscheidung noch einmal überdenken», sagte Kretschmann. «Bei einem Brexit verlieren alle - aber am meisten wohl die Briten selbst.» Die britische Premierministerin Theresa May hatte mit der EU ein Austrittsabkommen ausgehandelt. Das britische Unterhaus verweigerte ihr allerdings die Gefolgschaft und lehnte den Vertrag mit großer Mehrheit ab.

Ein Grund für den Brexit sei gewesen, dass die proeuropäischen Kräfte viel zu spät erwacht seien. «Daraus sollten wir für die Europawahl im kommenden Mai lernen», sagte Kretschmann. Es gehe darum, ob es gelinge, Europa zu erneuern, zu verbessern und stärker zu machen - oder ob Europa den Europafeinden in die Hände falle.

Zu dem Neujahrsempfang hatte die Landesregierung rund 700 Gäste ins Neue Schloss nach Stuttgart eingeladen, die sich in besonderer Weise um den europäischen Gedanken verdient gemacht haben. Darunter waren auch die zufällig ausgewählten Bürger, die in der Veranstaltungsreihe «Europadialog» der Regierung ihre Meinungen kundgetan hatten. Die Ergebnisse flossen in ein neues Europa-Leitbild der Landesregierung ein, das an diesem Montag in Brüssel an den Präsidenten der Europäischen Union, Jean-Claude Juncker, übergeben werden soll.