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Hätte die Demo verhindert werden können?

Thomas Strobl (CDU)
Thomas Strobl (CDU). Foto: Christoph Schmidt/dpa/Archivbild
Der Wasen liegt wieder verlassen am Neckarufer. Am Samstag hatten dort bis zu 15 000 Menschen gegen die Corona-Auflagen gewettert. Was bleibt? Bilder von Massen ohne Masken. Und eine politische Debatte, die noch lange nicht vorbei sein dürfte.
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - Auch mehrere Tage nach den massenhaften Verstößen gegen die Corona-Auflagen bei einer «Querdenker»-Großdemonstration in Stuttgart schieben sich Politik, Polizei und Stadt die Verantwortung für die Ereignisse gegenseitig zu. Während der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) seine Kritik an der Genehmigung der Demonstration erneuert, verteidigt Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) diese Entscheidung. Spätestens am kommenden Montag werden sich die beide Seite im Innenausschuss des Landtags erklären müssen.

Rund 15 000 Menschen hatten sich am Karsamstag größtenteils ohne Masken und Mindestabstand versammelt und die Stadt in große Erklärungsnot gebracht. Mehr als 1000 Polizisten waren am Samstag zusammen mit Einheiten aus anderen Bundesländern und der Bundespolizei im Einsatz gewesen. Sie schritten wegen der Verstöße gegen die Corona-Regeln aber kaum ein - nicht zum ersten Mal in Deutschland.

«Die Stadt hätte die Versammlung nicht verbieten dürfen», verteidigte sich Stuttgarts Stadtoberhaupt Nopper im Interview mit der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten» (Dienstag). «Es gab vor der Versammlung auf der Grundlage der Anmeldungen überhaupt keinen rechtlich begründbaren Ansatz, ein Versammlungsverbot auszusprechen.»

Nopper nannte die Rechtsauffassung des Sozialministeriums «nicht nachvollziehbar». Es hätte anweisen können, die Demonstration zu verbieten, sagte er. «Das ist nicht erfolgt. Sie hätten auf den Infektionsschutz verweisen können.» Aus der Perspektive der vergangenen Woche habe sich aber keine Verbotslage abgezeichnet.

Er habe die Äußerungen Noppers registriert, sagte Lucha in einem SWR-Interview. Der Grünen-Politiker zeigte sich zudem besorgt, die Demonstration an Karsamstag in Stuttgart könne sich im Nachhinein als «Superspreading»-Event entpuppen. «Natürlich haben wir diese Sorge, da das ein Personenkreis ist, der aus ganz Deutschland kam», sagte Lucha. Es werde eine große Herausforderung sein, das einzudämmen.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte zuvor ebenso wie die Stadt eine Aufarbeitung angekündigt. Er will klären, ob solch «gefährliche Veranstaltungen» in der Corona-Pandemie erlaubt werden müssen.

Aus Sicht der Deutschen Polizeigewerkschaft steht das außer Zweifel: Als Konsequenz der Vorfälle müsse es ein Umdenken bei der Zulassung von Demonstrationen dieser Größenordnung in der Corona-Pandemie geben, forderte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft, Ralf Kusterer. Die Rechtsgrundlagen dafür seien vorhanden. «Sollten sie nicht ausreichen, wie der Stuttgarter Ordnungsbürgermeister sagt, dann müssen das Land oder der Bund nachjustieren und die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen schaffen.»

Spätestens am Montag wird die Demo auf dem Wasen auch zum Politikum im Landtag. Der Innenausschuss will sich in einer Sondersitzung erneut mit den «Querdenkern» beschäftigen. Die SPD hatte einen Antrag aufgesetzt, Grüne und CDU fordern ebenfalls eine Debatte. «Wir müssen dafür sorgen, dass in ähnlichen Situationen künftig Klarheit herrscht», forderte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sascha Binder. Es muss klargestellt werden unter welchen Voraussetzungen Demonstrationen in der Pandemie möglich seien und unter welchen nicht.

Im Ausschuss sollen sich sowohl Innenminister Strobl als auch Sozialminister Lucha und der Stuttgarter Oberbürgermeister Nopper zur Kundgebung äußern. «Wir erwarten Antworten darauf, warum zum Beispiel die Versammlungsbehörde der Stadt Stuttgart den Empfehlungen des Sozialministeriums in den Tagen zuvor nicht gefolgt ist», sagte auch Uli Sckerl von den Grünen. CDU-Innenexperte Thomas Blenke erklärte für seine Fraktion, der Innenausschuss sei «der richtige Ort für die Aufarbeitung».

Vom Veranstalter des Protestes, der Bewegung «Querdenken 711» oder deren Gründer Michael Ballweg, war am Dienstag auf Anfrage keine Stellungnahme zu erhalten.

Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet die «Querdenken»-Bewegung. Die Behörde ordnet mehrere Akteure dem Milieu der «Reichsbürger» und «Selbstverwalter» zu, die unter anderem demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren. Die «Querdenken»-Bewegung weist diese Vorwürfe zurück.

© dpa-infocom, dpa:210405-99-89745/7